Architektur / Architekturtheorie


Daniel Krause

Re-reading Charles Jencks –
Figuren postmoderner Architekturtheorie

Als maßgeblicher Architekturtheoretiker der Postmoderne gilt Jencks. Sein zentrales Anliegen ist die „Sprachlichkeit“ der Architektur, vor allem ihre „Metaphorizität“. Im Folgenden werden seine wichtigsten Thesen wiedergegeben und auf Gehalt und Konsistenz hin untersucht. Die leitende Frage ist, ob postmoderne Architekturtheorie noch etwas zu sagen hat.



1. Einleitung

Postmoderne ist nicht en vogue. Das gilt auch für die Architektur: „Postmodern“ ist hier ein Schmähwort, Inbegriff schlechter Architektur, geschmacklicher Abirrungen einer vergangenen Zeit. Kein Student nennt Moore oder Stirling als Vorbild. Idole der Jugend sind Zumthor, Eisenman, Kohlhaas, Libeskind. Diesen ist alles zuwider, was „postmodern“ hieß. Sie verachten dergleichen. Ist postmoderne Architektur also noch von Belang? Gibt es ein anderes als ein historisches Interesse daran? Dafür spricht einiges: Es geht nicht um ferne Vergangenheit, sondern – beinahe – ums Jetzt: die Siebziger, Achtziger Jahre. Sie sind Teil unseres Lebens, mag die ‘gefühlte’ Distanz auch gewaltig sein: Ein Gespräch über Postmoderne ist Selbstverständigung. Auch ist dergleichen Architektur fast omnipräsent: Deutschlands Städte sind damit reichlich durchsetzt – egal wie man´s bewertet. Ganze Straßenzüge in Berlin, Frankfurt und Stuttgart sind von postmoderner Eklektik geprägt. Moore- und Stirling-Kopien besetzen so das Gesichtsfeld: Die Macht des Faktischen erzwingt Aufmerksamkeit, und es gilt zu verstehen, was man verabscheut. Zudem hat Postmoderne in der Architektur (- theorie) relativ klare Konturen. Hier lässt sie sich eher fassen als in Literatur und Philosophie. Das ist auch das Verdienst von Charles Jencks. Er prägt den Begriff, bringt in präzisen Bonmots postmoderne Anliegen zum Ausdruck. Sein Stil ist geistreich und leicht. Auch hofft er, beweisen zu können, dass Bauten postmodern sind, die zum Kanon moderner Weltarchitektur zählen. So sind seine Schriften auch für Adepten moderner Architektur von Belang. The Language of Post-Modern Architecture (1977) ist von besonderem Interesse. Erstens, weil Jencks seine Thesen hier bündelt. Zweitens, weil eine gestraffte Version in Welschs Wege aus der Moderne aufgenommen wurde. So wurde Jencks im deutschen Sprachraum besondere Aufmerksamkeit zu Teil. Kein Text zur Architekturtheorie hat mehr Furore gemacht.

Die Sprache der postmodernen Architektur setzt ein mit Überlegungen zum Status der Begriffe „Moderne“ und „Postmoderne“. Dann werden Unterscheidungsmerkmale für postmoderne Architekur angeführt: der Verzicht auf „ständige Innovation“, doppelte Codierung, Sprachlichkeit und der gestaltende Zugriff auf die immante Sprachlichkeit aller Architektur.

2. Zum Begriff „Postmoderne“

Jencks wendet sich gegen die allzu laxe Redeweise der Feuilletons:

“Postmodern“ bezeichnete also jedes Gebäude mit seltsamen Krümmungen oder die Sinne ansprechender Bildhaftigkeit, eine Definition, die ich als ein wenig zu großzügig betrachte.“ (Jencks in: Welsch, S. 86)

Dennoch betont er die Weite des Begriffs „Postmoderne“. Dieser könne ganz verschiedene Erscheinungen abdecken. Der Begriff „Moderne“ (1) sei dagegen strikter gefasst:

Wenn die Moderne so exklusiv ist wie die Architektur Mies van der Rohes, ist die Postmoderne so total inklusiv, dass sie sogar ihrem puristischen Gegensatz [der Moderne, d. V.] einen Platz einräumt, wo es sich rechtfertigen lässt. (88)

Jencks behauptet also eine Asymmetrie: Postmoderne Architektur könne sich Merkmale moderner Architektur aneignen, in einer Art stilistischer Mimikry. (2) Damit macht Jencks sich ein gängiges Muster postmoderner Rhetorik zu eigen: Seit Fiedlers „Cross the border, close the gap“ (1969) gilt absichtsvolle Unreinheit als Wesensmerkmal der Postmoderne – des Gegenstands und des Begriffs. In argumentationstechnischer Hinsicht ist diese Figur überaus nützlich: Der Autor kann sich bei allen Einwänden gegen Widersprüche, Brüche der Argumentation, Unstimmigkeiten auf die unorthodoxe Beschaffenheit des Gegenstands (bzw. Begriffs) herausreden. Darum verärgert postmoderne Rhetorik jene Leser, die klare begriffliche Abgrenzungen wünschenswert finden.

Jencks nimmt neben der begrifflichen eine zeitliche und genealogische Einordnung vor: Postmoderne Architektur ist eine Fortentwicklung der modernen. Postmoderne ist eine Epoche nach der Moderne: (3)

Sie [die postmoderne Architektur, d. V.] ist der Moderne auf ähnliche Weise entwachsen wie seinerzeit die manieristische Architektur der Hochrenaissance – als teilweise Umkehrung und Veränderung der früheren Sprache der Architektur. (85)

Architektur „verändert“ sich dabei in mehrerlei Hinsicht.

3. Wie unterscheidet sich postmoderne von moderner Architektur?

Postmoderne Architektur ist programmatisch durch den Verzicht auf „ständige Innovation“, auf die immer erneute Erfindung architektonischer Formen gekennzeichnet:

Wie dieser ihr Erzeuger [die Moderne, d. V.] ist die Postmoderne dem Engagement für zeitgemäße Erscheinungen verpflichtet, aber im Gegensatz zur Avantgarde verzichtet sie auf die Vorstellung von der ständigen Innovation oder der unaufhörlichen Revolution. (4)

Das ist eine überaus ‘weiche’ Definition. Denn wie sich „Innovation“ im Allgemeinen und „ständige Innovation“ abgrenzen lassen, bleibt offen. Dass Jencks den Begriff „Innovation“ nicht ausführlich darstellt – tatsächlich wird er in einem Satz angesprochen –, ist durchaus zu verschmerzen: Kritik am innovatorischen Denken ist ein klassischer Topos des Postmoderne-Diskurses. Wenn Postmodernisten verschiedenen Bekenntnisses sich überhaupt auf ein gemeinsames Anliegen einigen können, dann ist es dieses. Von Nachteil ist freilich, dass die Frage, auf welche Weise eine eklektische, mehr oder minder ‘rückwärtsgewandte’ Architektur die technologischen, ökonomischen, sozialen Veränderungen der Gegenwart reflektieren kann, nicht aufgeworfen wird. Bei einem Autor wie Jencks, der die Verantwortung des Architekten für „zeitgemäße Erscheinungen“ hervorhebt, ist das befremdlich.

Mit dem Übergang zur Postmoderne verändert sich Architektur in einer weiteren Hinsicht: Sie ist jetzt „doppelt codiert“. (5) Innerhalb ein und desselben Bauwerks spricht sie mindestens zwei Sprachen zugleich. (6) So erreicht sie verschiedene Öffentlichkeiten: architektonisch gebildete und ungebildete Betrachter.

Ein postmodernes Gebäude spricht, um eine kurze Definition zu geben, zumindest zwei Bevölkerungsschichten gleichzeitig an: Architekten und eine engagierte Minderheit, die sich um spezifisch architektonische Probleme kümmern, sowie die breite Öffentlichkeit oder die Bewohner am Ort, die sich mit Fragen des Komforts, der traditionellen Bauweise und ihrer Art zu leben befassen. (85)

Als Musterbeispiel doppelt codierter: postmoderner Architektur bezeichnet Jencks den griechischen Tempel: Das Giebelfeld stellt volkstümliche Mythen dar, für jeden verständlich; die Säulenordnungen sind aber nur für Experten zu deuten. So desavouiert Jencks die eigene Behauptung, Postmoderne sei eine Epoche nach der Moderne. (7) Die Konsistenz des Arguments ließe sich allerdings retten, fände Jencks sich bereit, seine Aussagen über den griechischen Tempel abzuschwächen, z. B. folgendermaßen: Schon antike Kulturen stellen Architektur auf die „Diskontinuität der Geschmackskulturen“ und damit auf Mehrsprachigkeit ab. (8) Aber erst unter Bedingungen der Postmoderne wird dieses Merkmal programmatisch artikuliert und als Kennzeichen einer Architekturepoche ausgewiesen. So kann der griechiche Tempel zwar nicht als Paradigma postmoderner Architektur gelten, doch als ihr Vorläufer. Vorsicht ist auch aus einem anderen Grund geboten: Antike Architektur kann nicht in derselben Weise des Innovationsanspruchs enthoben sein wie Bauten Moores oder Stirlings, denn diesen Anspruch gibt es noch nicht. (9) Es wäre unhistorisch, antike Architektur als „innovativ“ oder „nicht-innovativ“ zu bezeichnen. Das vorgebliche Musterbeispiel postmoderner Architektur: der griechische Tempel kann also eines der Definitionsmerkmale („keine Innovation“) gar nicht, das andere („doppelte Codierung“) nur mit Einschränkung erfüllen. Solche Unstimmigkeiten sind allzu offensichtlich. Auch Jencks muss sie bemerken. So kommt erneut jener charakteristischer Zug vieler Postmodernisten zum Tragen: die Neigung, eigene Festlegungen im selben Atemzug wieder aufzuheben. So „performiert“ man Postmoderne. (10) (Das ist die Ausrede.)

Bei Jencks wird nicht deutlich, ob moderne Architektur „einfach codiert“ ist, zu einer Bevölkerungsschicht spricht:

Der Fehler der modernen Architektur war, dass sie sich an eine Elite richtete. Die Postmoderne versucht, den Anspruch des Elitären zu überwinden, nicht durch Aufgabe desselben, sondern durch Erweiterung der Sprache der Architektur in verschiedene Richtungen – zum Bodenständigen, zur Überlieferung und zum kommerziellen Jargon der Kirche. (88) (11)

– oder zu keiner:

„Daher muß der Begriff Postmoderne […] nur auf diejenigen Architekten [der Gegenwart, d. V.] angewendet werden, die sich der Architektur als einer Sprache bedienen“ (86)

Die zweite Deutung hat einen Vorzug: Wenn sich moderne Architektur durch `Sprachlosigkeit´ auszeichnet, wird ihr revolutionärer Charakter verständlich. Denn Architektur war traditionell sprachlich verfasst. Es zählte zu den Selbstverständlichkeiten des alten Europa, dass Architektur zu lesen ist. Das Lesen der Städte wurde „Flaneuren“ zum Lebensinhalt.

Jencks schlägt jetzt eine Volte: Alle Architektur, auch die moderne, ist sprachlich verfasst, d. h. in erster Linie „metaphorisch“:

Die Menschen betrachten ein Gebäude unweigerlich in Verbindung mit einem anderen Bauwerk oder einem ähnlichen Objekt, kurz: als Metapher. (89)

Moderne Bauten sind gleichsam wider Willen zeichenhaft: als „Käsereibe“, „Bienenstock“, „Kettenzaun“ (89). Nicht selten sind sie in ihrer schnöden Funktionalität Metaphern des kapitalistischen Geistes:

Das Ergebnis ist, dass ihre unbeabsichtigten Metaphern metaphorische Rache üben und sie [moderne Architekten, d. V.] in den Hintern treten: Ihre Bauten sehen schließlich aus wie Metaphern für Funktion und Wirtschaftlichkeit. (92)

Postmoderne Architekten erkennen, so Jencks, die Metaphorizität aller Architektur an und versuchen, sie zu ‘gestalten’. Dabei sind Regeln zu beachten: Ein Bauwerk soll mehrere Metaphern „mischen“, und das gelingt nur, wenn es bei „Andeutungen“ bleibt. Als Musterbeispiel „angedeuteter“/„gemischter“ Metaphorizität – und doppelter Codierung – nennt Jencks Le Corbusiers Wallfahrtskirche zu Ronchamp. Einige ihrer Metaphern sind für Experten bestimmt – so erscheint sie als Bild der „vier Horizonte“; andere fürs `breite Publikum´: der „Schweizerkäse“, die „Ente“, die „Gans“. Keine dieser Metaphern dominiert. Das Gleichgewicht bleibt gewahrt. Le Corbusier praktiziert eine `Äquilibristik´ der Zeichen.

Die Kombination der Metaphern darf nicht beliebig erscheinen. Sie soll Notwendigkeit suggerieren:

Le Corbusier hat sein Bauwerk so überkodiert mit Metaphern und Element für Element so korrekt aufeinander bezogen [Hervorhebung durch d. V.], daß die Bedeutungen wirken, als wären sie festgeschrieben durch zahllose, dem Ritual verhaftete Generationen. (90f)

Hier scheint eine alte Idee formaler Stimmigkeit und Ökonomie zum Tragen zu kommen, die gerade für die Architektur der ‘klassischen Moderne’ verbindlich war. (12) Da postmoderne Architekten über die metaphorische Qualität ihres Materials Bescheid wissen, sind sie im Vorteil: Sie `komponieren´ stimmigere Architektur. Freilich bleibt unklar, an welchen Kriterien sich die Stimmigkeit eines Arrangements ausweisen muss. Man wird auf das Urteilsvermögen des Connaisseurs vertrauen müssen. Dieses erwächst aus architekturgeschichtlicher Bildung. Der ‘wertkoservative’Gehalt solcher normativen Festlegungen ist kaum zu übersehen. Zum Vorurteil von postmoderner „Beliebigkeit“ passen sie nicht. Jencks konservative Züge werden auch in seiner Polemik gegen Eisenman deutlich, jenen Architekten, der es sich zur Lebensaufgabe macht, das überlieferte Architekturdenken in Frage zu stellen. Dass es Eisenman wesentlich um die Zerstörung der Sprachlichkeit von Gebäuden geht, mag Jencks nicht begreifen:

Peter Eisenman produces beautiful syntactic knots which dazzle the eye, confuse the mind, und ultimately signify for him the process that generated them. How enticing; how banal. The spirit of process is supposed to lift you heavenwards […]. But this Architectural Ascension is not quite miraculous enough; there is no lift-off […]. Semantically (a mode of communication Eisenman disdains), his buildings convey the sharp white light of rationality and the virtues of geometrical organisation; […]. So far as one can recognise these semanitc meanings and connect them with other associations, (Protestantism, the white architecture of the twenties), then these buildings have a wider meaning. The pure realm of syntax is only relevant perceptually when it is incorporated into semantic fields. (The Language of Post-Modern Architecture, S. 73)

Auch im „Postskriptum“ der deutschen Ausgabe ist Jencks Konservatismus mit Händen zu greifen: Architektur soll sich am barocken Gesamtkunstwerk ausrichten. So kann sie ‘sinnstiftend’wirken: (13)

Schließlich – man gestatte mir diese in die Zukunft weisende Anmerkung – deutet er [Moores Entwurf für die Piazza d´Italia in New Orleans, d. V.] auf eine Architektur wie die des Barock hin, als verschiedene Künste sich verbanden, um ein rhetorisches Ganzes zu erzeugen. Mit Sicherheit wird der Erfolg dieser Rhetorik von außerhalb der Architektur liegenden Faktoren abhängen: von einem überzeugenden sozialen oder metaphysischen Inhalt. Die Suche nach einem solchen Inhalt ist die Herausforderung an die postmodernen Architekten. (94)

Die Forderung nach einem „rhetorischen Ganzen“ und einem „überzeugenden sozialen Inhalt“ lässt sich nicht auf die Idee formaler Stimmigkeit reduzieren. Mit der gängigen Deutung von Postmoderne als einem Zeitalter der Ausdifferenzierung von Diskursformen, einem „Archipel der Diskurse“ (Lyotard), ist sie ohnehin nicht in Einklang zu bringen. Zwar könnte man Jencks Forderung abschwächen: Der Architektur kommt die Aufgabe zu, das Fehlen „sozialer Inhalte“ zu kompensieren. Doch schon die Sehnsucht nach Einheit ist der Mehrheit der Postmodernisten verwerflich. (14) Noch abenteuerlicher erscheint die Idee eines „metaphysischen Inhalts“. Sie schlägt postmodernem Denken ins Gesicht: Meist will es Metaphysik „dekonstruieren“. Aber Jencks geht inzwischen noch weiter: In Schottland gestaltet er einen Garten. Der soll den Kosmos abbilden. Die „Sprache der postmodernen Architektur“ wird ‘Sprache des Seins’.

4. Schluss

Jencks gibt vier Unterscheidungsmerkmale für postmoderne Architektur an: den Verzicht auf „ständige Innovation“, doppelte Codierung, Sprachlichkeit und den gestaltenden Zugriff auf die immanente Sprachlichkeit aller Architektur. Der Zusammenhang dieser Merkmale bleibt dunkel. Sie schließen einander teilweise aus: Wenn postmoderne Architektur bereits durch Sprachlichkeit unterschieden wird, kann doppelte Codierung (‘Zweisprachigkeit’) kein Unterscheidungsmerkmal mehr sein. Jencks Vorschläge sind folglich inkonsistent. Das Argument, Architekturtheorie sei nicht an Konsistenz zu messen, sondern daran, ob sie architektonische Kreativität stimuliere, verfängt nicht: Als Architekt ist Jencks kaum in Erscheinung getreten. Dass andere Architekten von ihm „inspiriert“ worden sind, ist nicht überliefert. Schwerer als ihre Widersprüche wiegt freilich, dass Jencks Überlegungen unterkomplex bleiben. Seine Vorschläge zur Sprachlichkeit der Architektur scheinen, gemessen an Eisenman, beinahe platt. Das Desiderat einer Semiotik der Architektur wird nicht eingelöst. (15) Das Verhältnis zwischen der Sprachlichkeit und der Materialität von Architektur wird nicht thematisiert. Auch `Raum´ spielt für Jencks kaum eine Rolle. Fast scheint es, als begreife er Architektur als Arrangement von Zeichen auf Flächen. Damit trifft ihn ein gängiger Einwand gegen postmoderne Architekten: Sie weigerten sich zu verstehen, dass Architektur gestalteter Raum ist. Zudem wird in Jencks Forderung, Architektur möge eine metaphysische Botschaft ausdrücken, ein Mangel an philosophischem Problembewusstein deutlich. Der Hinweis auf das Barock als Muster künftiger architektonischer Gesamtkunstwerke scheint fehlendes Geschichtsbewusstsein zu belegen. Auch deutet er Zweifel an der erklärenden Kraft des Begriffs „Postmoderne“ an. Tatsächlich hat Jencks sich inzwischen anderen Konzepten zugewandt. Sein Interesse gilt heute „ekstatischer“ Architektur.

Hier wurde viel bemängelt. Ist Jencks dennoch lesenswert? Die Antwort ist: Ja, und zwar wegen der Mängel. Das Unbehagen beim Lesen beweist: Die Postmoderne ist verjährt. Unser Weltgefühl hat sich verändert. Der ‘Geist’der Gegenwart wird durch Eisenman, Kohlhaas, Libeskind zum Ausdruck gebracht, durch Architektur der Dekonstruktion. Kein Autor kann das so glaubhaft vermitteln wie Jencks. (16)


Literatur

  • Eco, Umberto: Nachschrift zum “Namen der Rose”, 1984
  • Eisenman, Peter: Misreading Peter Eisenman, in: Ders.: Houses of Cards, 1987, S. 167-186
  • Fiedler, Leslie: Cross the border, close the gap, 1969
  • Jencks, Charles: The Language of Post-Modern Architecture, 1977; dt. in: Welsch, Wolfgang (Hrsg.): Wege aus der Moderne: Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, 1988
  • Lyotard, Jean-François: Réponse à la question: qu´est-ce que le postmoderne ?, 1982


Fußnoten

  1. Als Paradigma moderner Architektur betrachtet Jencks das Bauhaus und den Internationalen Stil. Weil Gaudí, Lloyd Wright, der späte Le Corbusier, Aalto einem am Bauhaus gewonnenen Begriff von Moderne nicht entsprechen können, werden sie für die Postmoderne reklamiert. (zurück)
  2. Allzu weit reicht dieses Argument nicht: Es macht einen Unterschied, ob ein Stil zitiert wird oder originär gegeben ist. Auch die perfekte Kopie eines modernen Bauwerks wäre Kopie und als solche der auf originäre Formschöpfung ausgehenden modernen Architektur wesensfremd. So gesehen kann postmoderne Architektur ihren Gegensatz nie in sich einschließen. (zurück)
  3. Wie heikel zeitliche Abgrenzungen zwischen Moderne und Postmoderne sind, geht u. a. daraus hervor, dass der Ausdruck „postmodern“ bereits in den 1870er Jahren geprägt wird – noch bevor die ersten Avantgarden auftreten: Ein britischer Salonmaler, Chapman, fordert eine „postmoderne“, d. h. postimpressionistische Malerei. (zurück)
  4. Kein Zufall, dass Jencks sich hier nicht auf die „klassische Moderne“ des Internationalen Stils bezieht, denn diese kennt keine „ständige Innovation“. Ihr Formenkanon wird spätestens in den Zwanziger Jahren durch Gropius und Mies festgelegt und erfährt durch mehrere Jahrzehnte keine durchgreifenden Veränderungen. Vermutlich hat Jencks den russischen Konstruktivismus (Tatlin, El Lisstizky) im Sinn. Den könnte man – in Anlehnung an die französische – als „russische Revolutionsarchitektur“ bezeichnen. (zurück)
  5. Auch dieses Merkmal wird von Fiedler vorweggenommen – für die Literatur. Tatsächlich könnte man fragen, ob Jencks mehr leistet, als Ideen Fiedlers auf Architektur umzusetzen. Mangelnde Originalität kann unter postmodernen Prämissen aber kein Einwand sein. (zurück)
  6. „Sprache“ und „Code“ werden als Synonyme behandelt. „Doppelt codiert“ heißt „zweisprachig“. (zurück)
  7. So scheint er in den Siebziger Jahren eine süffisante Bemerkung Ecos aus den Achtzigern zu bestätigen: „Außerdem gibt es, wie mir scheint, eine Tendenz, ihn [den „Passepartoutbegriff“ „postmodern“, d. V.] immer weiter nach hinten zu schieben: Erst schien er auf einige Schriftsteller oder Künstler der letzten zwanzig Jahre zu passen, dann gelangte er, rückwärts durch die Jahrzehnte wandernd, allmählich bis zum Beginn des Jahrhunderts, dann ging er noch weiter zurück und er ist immer noch unterwegs; bald wird die Kategorie des Postmodernen bei Homer angelangt sein.“ (Eco 1984, S. 77) (zurück)
  8. Ob es sich in der antiken und der postmodernen Gesellschaft um die gleiche Art von „Diskontinuität“ handeln kann, sei dahingestellt. (zurück)
  9. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren Kronzeugen Jencks: Gaudí, dem „absolut überzeugenden Postmodernen“ (86). Sein Schaffen fällt großenteils in die Jahrzehnte vor der Formierung der architektonischen Avantgarde. (zurück)
  10. Das kann man mit dem Verfahren der „Dekonstruktion“ vergleichen, wie es die Architekturtheorie Eisenmans praktiziert. Der Tonfall ist aber verschieden: Jencks Selbst-Dekonstruktion mutet spielerisch an. Eisenman ist es ernst. (Diese Differenz ist wichtig: Mit Lyotard unterscheiden sich Moderne und Postmoderne vor allem im Ton.) (zurück)
  11. Das passt kaum zum Selbstverständnis moderner Architekten. Es ist in Manifesten des Bauhauses und in der „Charta von Athen“ (1933) niedergelegt. Dort zeigt sich: Moderne Architektur will entschieden demokratisch sein. (zurück)
  12. Darin setzt Jencks sich von Robert Venturi ab, dem zweiten einflussreichen Theoretiker postmoderner Architektur. Venturi möchte Architektur möglichst starken Spannungen ausgesetzt sehen. Die Einheit der Komposition wird einer Zerreißprobe ausgesetzt, wie der gespannte Bogen Heraklits. (zurück)
  13. Dass es neobarocke Tendenzen in der Gegenwartsarchitektur gibt, wird niemand bestreiten. Man denke an Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao. Aber `spricht´ diese Architektur? Wirkt sie `sinnstiftend´? Wenn ja, dann gegen Gehrys Willen. (zurück)
  14. Eisenman macht deutlich, was er von solchen Projekten hält: “The estranging vector moving out from the center is not subject to man´s volition, and no postmodern retreat into simulated symbols of a benign past can mask it.” (Eisenman 1987, 172) (zurück)
  15. Das gilt auch für die relativ umfangreiche englische Originalfassung: The language of postmodern architecture: Das reichere begriffliche Inventar wird durch allzu unbedachte Analogien zur gesprochenen Sprache entwertet. (zurück)
  16. Auch dekonstruktionistische Architektur setzt sich von der Moderne ab. Postmoderne ist so gesehen Gegenwart. Doch soll man Begriffe dermaßen weiten? Dazu andernorts mehr. (zurück)

Kontakt: daniel.krause@campus.lmu.de Veröffentlicht am 22.07.2005

   
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