Computerisierung / Information / Entscheidung / Materie / Geist / Formalisierung / Philosophie / Theologie / Platonismus


Matthias Wörther

Von Daten, Maschinen und Menschen
Überlegungen zur Computerisierung der Gesellschaft



Abstract: Die rasante Computerisierung der Gesellschaft verbindet sich mit einer Zukunftseuphorie, die eher technischen Visionen als dem konkreten Menschen gilt. Auf der theoretisch-reflexiven Ebene dieser Entwicklung kommen philosophische Vorgaben zum Tragen, die mit dem Stichwort 'Platonismus' zu kennzeichnen sind. Vorliegende Skizze versucht eine Charakterisierung und Einschätzung dieser Tendenz aus der Perspektive einer 'bescheidenen Anthropologie'.


0. Einleitung

Die rasante Computerisierung der Gesellschaft ist nicht die zwangsläufige Folge des evolutiven Fortschritts der Technik und der wirtschaftlichen Potenz der Industrienationen, sondern sie ist motiviert durch die Faszination, die der Computer auf die Menschen ausübt. Diese Faszination beruht auf der Nützlichkeit des Computers in allen möglichen Bereichen der Wissenschaften und der Gesellschaft und zunehmend auch des alltäglichen Lebens, in erster Hinsicht aber darauf, daß er nicht ein Instrument wie andere, sondern die erste universale Maschine ist. Er verkörpert wie keine anderes Artefakt die Hoffnung auf Verwirklichung alter Träume der Menschen. Und es scheint, daß sie durch ihn wahr werden könnten.

Die Universalität des Computers, seine Faszinationskraft und seine Affinität zu alten Träumen sind die Punkte, wo Computer und Computerkultur zum Gegenstand der Theologie und der Philosophie werden. Als rationale Bewältigungsversuche des Phänomens der menschlichen Existenz und der Vielfalt menschlicher Lebensentwürfe stehen sie im Spannungsfeld zwischen dem, was die Menschen sind, und ihrer Fähigkeit, sich zu erträumen, was sie sein könnten.

Ich möchte deshalb versuchen, drei der Träume, die sich mit dem Computer als universaler Maschine verbinden, in philosophisch-theologischer Perspektive zu betrachten und an diesen Beispielen diskutieren, was die Computerkultur für Entwürfe des Lebens bedeuten könnte: Wie bestimmt sich der Entwurf des Lebens angesichts der Existenz einer universalen Maschine?

Im ersten Teil behandle ich unter dem Titel "Information und Entscheidung" den Traum von der Allwissenheit und der Freiheit von Verantwortung. Teil 2, "Algorithmus und Kreativität", beschäftigt sich mit dem Traum von der Formalisierung des Schöpferischen und der digitalen Beherrschung des Prozeßhaften. Dem Homunculus-Traum vom künstlichen Leben ist der dritte Teil, "Materie und Bewußtsein", gewidmet. Im vierten Teil mit dem Titel "Platon läßt grüßen" fasse ich das Gesagte unter Rückbezug auf schon lange artikulierte philosophische Optionen zusammen.


I. Information und Entscheidung

In einer Werbeanzeige der Telekom konnte man den Satz lesen: "In der Informationsgesellschaft wird das gesamte Wissen der Welt zu einem digitalen Archiv. Abgelegt in Datenbanken, zugänglich über Telekommunikation". Man kann ähnliche Formulierungen überall in PC-Zeitschriften, in Zeitungsartikeln über die Multi-Media-Welt und in den Büchern der Zukunftsbegeisterten finden. Und es besteht ja auch gar kein Zweifel, daß die Vorstellung, man könne schnellen Zugang zu allen nur denkbaren Informationen bekommen, von größter Faszination ist. Borges, der argentinische Schriftsteller, illustriert diese Wunschvorstellung in seiner Erzählung "Die Bibliothek von Babel", die unter anderem alles enthalten soll, was sich irgendwie ausdrücken läßt, in sämtlichen Sprachen, die Autobiographien der Erzengel, die wahrheitsgetreue Darstellung des eigenen Todes, die Übertragung jedes Buches in sämtliche Sprachen, die Interpretation jedes Buches in allen Büchern und die verlorenen Bücher des Tacitus. Wir alle träumen den Traum von der Allwissenheit.

Die euphorischen Versprechungen der Telekom holen uns bei diesem Traum ab und lassen uns vergessen, was wir vermutlich wissen: Dieser Traum kann nicht in Erfüllung gehen, und zwar nicht, weil die Speicherkapazitäten noch nicht ausreichen oder weil die Rechner noch nicht schnell genug sind oder weil es ein gigantischer finanzieller und arbeitsmäßiger Aufwand ist, allein nur die Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek über ihre bibliographische Erfassung hinaus material zu erfassen und zu digitalisieren. Er kann schon allein deshalb nicht in Erfüllung gehen, weil der Begriff von Information, auf dem er beruht, eindimensional und bloß technisch ist.

Man kann sich das leicht einsichtig machen, wenn man durch eine der 'virtuellen Gemäldegalerien' spaziert, die auf CD-ROM erhältlich sind. Die Werbung macht uns weis, man könne sich die Reise nach Paris sparen, da der Gang durch den Louvre am heimischen PC sehr viel entspannter und eindringlicher möglich und Unterschied zwischen 'real' und 'virtuell' inzwischen zu vernachlässigen sei.

Es geht mir nicht darum, zu bestreiten, daß das Wandern durch virtuelle Galerien ein Spaß eigener Art ist und Erkenntnisse und Unterhaltung liefern kann, sondern um die Verwischung der grundlegenden Differenz zwischen Realität und der Information über Realität. Auch das perfekt und in höchster Auflösung digitalisierte Bild am Monitor ist nicht die vollständige Information über das Bild. Das ist auch den Verfechtern der digitalen Zukunft deutlich, aber sie halten die Differenz prinzipiell für aufhebbar: Mit der Entwicklung der Technik werde der Unterschied verschwinden. Information ist für sie nicht Zugriff und Perspektive auf Realität, also ein Instrument des subjektiven Interesses, sondern die vermeintlich objektive Abbildung von Realität bis hin zur Identität von Gegenstand und Abbildung. Sie vertreten einen positivistischen Begriff von Information.

Ein zweites Beispiel verdeutlicht diesen objektivistischen Begriff von Information in seinen konkreten Auswirkungen: In der Diskussion um die Gefahren der Atomkraft spielen wissenschaftliche Gutachten eine zentrale Rolle, und in vergleichbarer Weise wird in der Auseinandersetzung um die Ursachen von Waldsterben und Ozonloch die Meinung vertreten, man müsse erst die wissenschaftlichen Erkenntnisse abwarten, bevor man handeln könne. In beiden Fällen entsteht der Eindruck, daß sich dann, wenn die umfassende und vollständige Information über einen bestimmten Sachverhalt vorliege, die richtige Entscheidung von alleine ergebe.

Hier wird der Handlungsbezug des Traums von der Allwissenheit greifbar und gleichzeitig die Schattenseite seiner Faszination: Er ist auch der Traum von der Freiheit von Verantwortung. Im Raum der Allwissenheit gibt es keine Konflikte und bedarf es keiner Entscheidungen mehr. Alle Subjektivität, Motivierung durch Interessen, Vorläufigkeit der Erkenntnis, Perspektivität der Wahrnehmung und Dunkelheit der Erfahrung verschwindet im alles überstrahlenden Glanz der Objektivität der Information.

Es liegt nahe, diese Vorstellung von der Allwissenheit mit Elementen der traditionellen Gottesvorstellung in Beziehung zu setzen. Es ist kein Zufall, daß in Karikaturen an der Stelle Gottes immer wieder ein Großrechner erscheint, über dem das Symbol der Dreifaltigkeit schwebt: Wie Gott, so muß man annehmen, weiß der Rechner alles, und aus dieser Allwissenheit resultiert seine Macht. Er verfügt über den 'Gesamtplan', dem alles unterliegt. Könnte man die Position Gottes einnehmen, wäre man aller Entscheidungen enthoben. Die prinzipielle Offenheit der Zukunft verwandelt sich so in die bloße Realisierung, d.h. "Abbildung", der in der "Gesamtinformation" festgeschriebenen Gestalt der materiellen und damit auch der geistigen Welten. "Wie Gott sein" wird verstanden als totaler Zugriff auf die Wirklichkeit die Vollständigkeit vom Information.

Aber das Wesen von Informationen ist ihre Relationalität, d.h. die Zuordnung von Subjektivität und Objektivität in ihnen. Man bezieht sich über sie in einem bestimmten Sinn auf die Wirklichkeit und über den Bezug entsteht das Neue in der Welt. Keine digitale Erfassung von Information kann gleichzeitig alle denkbaren Bezüge miterfassen, die Subjekte auf diese Information herstellen und herstellen werden. Noch das geringste Phänomen der Wirklichkeit ist informationell nicht auszuschöpfen und sein digitalisiertes Phantom nur eine neue Art, etwas Bestimmtes, aber gewiß nicht alles an ihm zu begreifen.

Die Informationsgesellschaft träumt den Traum von der Allwissenheit in der falschen Perspektive: Sie sieht Information gleichsam als Verdoppelung von Wirklichkeit und nicht als Basis für Entscheidungen und Handlungen. Die Gefahren dieses Traums liegen deshalb nicht in der Anhäufung von Wissen, als ob wir dadurch jemals 'wie Gott' werden könnten, sondern in der falschen Qualifizierung unseres Wissens. Die Digitalisierung verleiht dem Wissen keinen höheren Status. Auch die größte Datenbank befreit uns nicht von der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen. Und die können auch dann falsch ausfallen, wenn man alles wußte, was man wissen konnte: Die Zukunft bleibt offen.


II. Algorithmus und Kreativität

METAFONT von Donald Knuth, ein Programm zur Generierung von Schriftarten, impliziert den Anspruch, im Prinzip alle (!) denkbaren Schriftarten erzeugen zu können, oder anders gesagt, es behauptet, das Wesen der Schrift in so viele formale Parameter aufzulösen, daß durch Veränderung der Parameter die Gesamtheit aller möglichen Schriften erzeugbar ist.

Philosophisch gesprochen würde das Programm also beispielsweise den Begriff des Buchstaben A, seine im Reich der Ideen angesiedelte platonische A-Haftigkeit, vollständig ausschöpfen und damit alle Schriftzeichen erzeugen können, die noch irgendwie als "A" zu erkennen sind. Und wenn Buchstaben so zu formalisieren sind, dann auch die Musik, Malstile, Gestalten von Dingen wie Stühlen, Autos oder Kaffeemaschinen. Das Phänomen der Kreativität hätte sich als programmierbar erwiesen.

Douglas Hofstadter verwendet das Beispiel METAFONT in seinem Buch "Metamagicum", um diesen Traum von der Formalisierung der Kreativität zu diskutieren. Ist Kreativität tatsächlich formalisierbar, also, um im Beispiel zu bleiben, die Fähigkeit, uns immer wieder neue Schriftarten einfallen zu lassen?

Hofstadter vertritt gegen den Anspruch von METAFONT die These, daß der Raum aller "A" oder aller Gestalten von Stühlen, Tischen usw. einen Raum darstellt, der nur in einem Akt unendlicher Kreativität ausgeschöpft werden könnte, und damit von keinem endlichen Wesen, sei es nun ein Mensch oder eine wie komplex auch immer organisierte Maschine. Das soll nicht bloß heißen, daß die Zeit dafür nicht ausreicht, sondern daß es prinzipiell unmöglich ist: Es gibt immer weitere A, die so noch nicht existierten.

Die Gegenargumente, die er am Beispiel von METAFONT vorbringt, lassen sich auf alle Bereiche übertragen, wo die Vollständigkeit einer Menge oder die Möglichkeit der Algorithmisierung von Kreativität behauptet wird:

- Hofstadter rekurriert auf das Gödelsche Theorem, das besagt, daß man in jedem formalen System Sätze formulieren kann, die im System selbst nicht beweisbar sind und die es gleichsam übersteigen. Auf METAFONT bezogen hieße das erstens, daß es nicht alle A erzeugen kann, also keine vollständige Menge hervorbringt. Zweitens vermag es auch auch keine konsistente Menge erzeugen: Es kann A hervorbringen, von denen innerhalb von METAFONT nicht entschieden werden kann, ob sie noch als A zu betrachten sind oder nicht.

- Es ist sicher möglich, wenn eine Schriftart bereits existiert, ein Programm wie METAFONT mit so vielen Parametern zu versehen, daß es diese Schriftart a posteriori ebenfalls erzeugen kann, d.h. im Grunde imitiert. Es ist jedoch nicht möglich, dem Programm einen Bezugsrahmen einzugeben, der alle Variationen von Schriften zu antizipieren vermag.

- Was als A definiert wird, ist nicht eine geometrische, sondern eine semantische Frage (mit Peirce: Das A, um das es geht, ist nicht 'Type', sondern 'Token'). Es gibt kein Ur-A, von dem die anderen geometrisch abstammen würden, sondern es gibt einen Begriff von A, unter den alles mögliche als A fallen kann. Vielleicht könnte man sagen, daß der Begriff des A noch gar nicht weiß, was alles noch unter ihn fallen kann.

Es gibt weitere Argumente, aber ich denke die Grundrichtung der Kritik an der behaupteten Möglichkeit einer Formalisierbarkeit von kreativen Phänomen ist sichtbar geworden. Die Nichtformalisierbarkeit der Kreativität beruht auf der prinzipiellen Offenheit der Welt und des Prozesses, in dem sie sich befindet: Das Neue ist nicht aus den bereits gegebenen Elementen herleitbar, obwohl es von ihnen herkommt und ohne sie nicht werden kann. Es ist nicht die Verwirklichung eines Unterpunkts in einem seit Anfang der Zeiten vorgegebenen Masterplan und nicht die logische, chemische und physikalische Konsequenz eines in der Materie determinierten Prozesses, sondern das Unvorhergesehene und Unvorhersehbare in Entwicklungen, die sich gegenseitig befruchten. Das Neue basiert auf freien Entscheidungen, die die menschliche Entwicklung im Horizont der Unbestimmtheit dahin oder dorthin führen.

Warum aber der Traum vom Absoluten, von der Vollständigkeit einer Menge oder von der Möglichkeit der Generierung einer unendlichen Vielfalt aus wenigen Vorgaben? Was motiviert die Arbeit an der Verwirklichung der Formalisierung der Kreativität?

Ein Motiv ist sicher die Faszination durch die Ordnung des Kristalls, in dem jedes Einzelelement zwingend durch die Gesamtstruktur bestimmt ist (vielleicht eine vor allem männliche Faszination). Ein zweites Motiv ist in einer tieferen Schicht unseres Wesens vermutlich auch die Angst vor dem Unbestimmbaren, nicht Planbaren, vor der Notwendigkeit, Entscheidungen treffen zu müssen, die zu nicht revidierbaren Konsequenzen führen. Menschliche Kreativität übersteigt jedes formale System, in dem sie sich auf unvorhergesehene Weise auf die Wirklichkeit bezieht, sie steht in Verbindung mit den nicht rationalisierbaren Kräften und Bestrebungen im Menschen und letztlich führt sie auch zum Bewußtsein der Zufälligkeit und Vergänglichkeit dessen, was Entscheidungen bewirken. Könnte der Traum von der Formalisierbarkeit des Kreativen verwirklicht werden, wäre das in der Konsequenz die Erstarrung des menschlichen Lebens im Algorithmus.


III. Materie und Bewußtsein

Bei der Dekodierung der DAS reichen sich Gentechnik und Computertechnologie die Hand. Ohne automatisierte Sequenzanalyse und deren elektronische Auswertung könnte die Kartierung der DAS nicht in überschaubaren Zeiträumen geleistet werden. Es zeigt sich darüber hinaus eine grundlegende Übereinstimmung in der Auffassung von Leben in der modernen Biologie, in der Informatik und in der Computerwissenschaft: Die DAS wird als gigantischer Informationsspeicher betrachtet, dessen Inhalt sich auf Rechner transferieren und dort in unterschiedlichster Weise analysieren läßt. Gentechnik wie Computerwissenschaft träumen dabei den Traum von der Beherrschung des Lebens überhaupt und seiner 'rationalen' Neuschöpfung aufgrund seiner von uns schließlich endgültig verstandenen und vor allem auch verbesserten Baupläne. Die Zusammensetzung chemischer Element nach dem entschlüsselten Plan der DAS müßte nach dieser Logik Leben und Bewußtsein ergeben.
Dieser Traum wird überall geträumt und seine Gegenwart läßt sich leicht belegen.

- In den Tageszeitungen kann man Meldungen finden wie die in der SZ (Nr. 82/1995) mit der Überschrift: "Die Mensch-Maschine", wo es heißt: "Forscher träumen von Koppelung des Hirns mit dem Computer. Eine Art Hybrid-Mensch - eine Mixtur aus Mensch und Computer - beschäftigt nach Angaben eines Experten als Idee bereits die Wissenschaft."

- In einem Artikel in der SZ (Nr. 3/1995) schreibt Florian Rötzer unter dem Titel "Vom Leben im digitalen Zeitalter" und mit Blick auf die vermutlich irreversible Umweltzerstörung: "Daher ließe sich das Unternehmen Biotechnologie auch als ein Versuch verstehen, langfristig biologische durch technische Systeme zu ersetzen, die auf andere Umweltbedingungen angewiesen sind. Artificial Life wird die Gentechnologie ersetzen; Roboter und Künstliche Intelligenz werden den menschlichen Körper und Geist ersetzen; Biosphäre I wird abgelöst von Biosphäre II."

- Marvin Minsky, Professor am Massachusetts Institute of Technology und Guru der Forschungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz antwortet in einer ARD-Sendung mit dem bezeichnenden Titel "Der achte Schöpfungstag" auf die Frage, ob er mit der Künstlichen Intelligenz den Tod überwinden wolle: "Natürlich, das wäre der nächste logische Schritt...Das Nächste was wir tun müssen, ist, den Tod zu eliminieren, indem wir alle Informationen aus dem Gehirn kopieren und in Computern speichern".

Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

Marvin Minsky hat die Grundlagen seiner mehr als optimistischen Auffassung von der Zukunft der künstlichen Intelligenz in seinem Buch "Mentopolis" dargelegt. Bereits im Prolog wird das Grundproblem, um das es geht, auf den Punkt gebracht. Minsky schreibt: "Wie kann Intelligenz aus Nicht-Intelligenz entstehen? Um diese Frage zu beantworten, werde ich zeigen, wie man Geist aus kleinen Teilen zusammensetzen kann, die jedes für sich ohne Geist sind." Damit formuliert er die Grundbedingung, die richtig sein muß, wenn das hochgesteckte Ziel: Künstliche Intelligenz (wobei offenbar mehr gemeint ist, nämlich Künstliches Leben) erreicht werden soll. Sie besteht in der Überzeugung, daß Geist, Intelligenz und Bewußtsein Phänomene sind, die sich aus der Komplexität der Organisation ergeben.

Deshalb spielt die Analogie zwischen Gehirn und Computer eine zentrale Rolle. Auch im Gehirn gebe es eine ganz einfache, bewußtlose, chemische und elektrische materielle Basis, die mit der untersten Ebene eines Computers, dem Ein und Aus von Schaltern oder dem Wechsel von positiven und negativen Spannungszuständen parallelisierbar sei. Auf der Basis dieser Ja/Nein-Entscheidungen ließen sich immer komplexere Strukturen aufbauen, die schließlich in Phänomene wie Intelligenz und Bewußtsein umschlügen.

Tatsächlich kann man diese Auffassung nicht ohne weiteres beiseite schieben. Geist und Bewußtsein ruhen auf materiellen, biologischen Gegebenheiten auf, resultieren daraus oder werden von ihnen erzeugt: Wir sind nicht Geist ohne unseren Körper. Auch gibt es "geistige" Phänomene auf Ebenen, die unterhalb eines Selbstbewußtseins in unserem Sinne liegen. Hofstadter nennt in "Gödel, Escher, Bach" das Beispiel der Organisation von Ameisenstaaten, die zielgerichtet ist und aus der Zusammenarbeit von Tausenden von Ameisen einen Ameisenhaufen hervorbringt, ohne daß auszumachen wäre, wer den Plan für den Haufen besitzt und wie seine Errichtung eigentlich gesteuert wird. Den Ameisen würden in unserem Gehirn die Nervenzellen und im Computer die wie immer verwirklichten Ja/Nein-Zustände entsprechen, d.h. auch im Computer könnten sich sinnvolle Gebilde analog zu diesem Ameisenhaufen aufbauen.

Vertreter der Gegenposition, etwa Popper und Eccles in ihrem Buch "Das Ich und sein Gehirn", würden sicher einräumen, daß solche sinnvollen Gebilde geplant erscheinen, aber erst dann von Intelligenz oder gar Bewußtsein reden, wenn der Ameisenhaufen sich seiner Existenz als Ameisenhaufen und der Computer sich seiner Existenz als Computer bewußt wäre. Das alte und ungelöste Problem, das in dieser Auseinandersetzung steckt, ist das von Reduktionismus und Holismus: ergibt sich das Ganze aus der Anordnung seiner Teile, oder ordnen sich die Teile von einem Ganzen her an? Ist das Ich eine Funktion der Materie oder steht die Materie im Dienste des Bewußtseins?

Wie auch immer diese Frage zu entscheiden ist, falls sie überhaupt entschieden werden kann, in lebenspraktischer Hinsicht ist sie vielleicht gar nicht so entscheidend. Das ist selbst Minsky deutlich. Nachdem er über 300 Seiten das Modell einer "Geistesgesellschaft" darlegte, die sich aus einfachsten Elementen zu einem immer komplexeren Gebilde entwickelt, kommt er auf die Willensfreiheit zu sprechen. Einerseits sagt er: "Alles, was in unserem Universum geschieht, wird entweder lückenlos durch die Ereignisse der Vergangenheit bestimmt, oder es hängt teilweise vom Zufall ab": Von daher bezeichnet er die Rede vom freien Willen als Mythos. Andererseits benötigt er den freien Willen, um Werturteile wie "Gut" und "Böse" zu rechtfertigen. Deshalb vertritt er die Meinung: "Wir sind buchstäblich gezwungen, diesen Glauben beizubehalten, obwohl wir wissen, daß er irrig ist...".

Auch wenn niemals künstliche Intelligenz entstehen sollte und es sich als unmöglich erweist, tatsächlich lebende Organismen künstlich herzustellen, zeichnet sich doch ab, daß die Natur des Menschen keine unveränderliche, statische und etwa von einem Schöpfer vorgegebene Größe ist, wie es ein bestimmter Naturbegriff voraussetzt. Wir können uns nicht unsterblich machen, aber es ist auch nicht mehr so leicht zu sagen, was an unserer Natur vorgegeben und was an ihr veränderlich ist. In der Philosophie und der Theologie wird die prinzipielle Abhängigkeit des Lebens von dem, was nicht es selbst ist, behauptet, unabhängig davon, wie groß die Möglichkeiten des Menschen tatsächlich sind, in seine eigene Natur einzugreifen. Diese absolute Abhängigkeit ist erfahrbar, aber nicht beweisbar. Ein Glaube an dieses Abhängigkeit hat eine dem Glauben Minskys an den freien Willen vergleichbare pragmatische Funktion: Er erlaubt uns, uns in der Wirklichkeit in dem Sinne angemessen zu orientieren, daß wir das Leben in Übereinstimmung mit unseren konkreten Erfahrungen als eine prinzipiell beschränkte Tatsache wahrnehmen. Darüber hinaus impliziert er eine Kritik am Anspruch der Forscher, die den Traum von der Neuschöpfung des Lebens träumen: Die Ziele, die sie anstreben, können sie nicht erreichen. Wären sie erreichbar, wäre das das Ende unseres Selbstverständnisses als Menschen. Es liegt nahe, für eine "bescheidene Anthropologie" zu plädieren, die sich auf menschliche Erfahrungen und Erkenntnisse quer durch die Jahrhunderte berufen kann: die Welt, das Leben und das menschliche Wissen sind keine abschließbaren Mengen und das Streben nach Vollkommenheit, Vollständigkeit oder Unsterblichkeit ein nach allem, was wir wissen und und wovon die meisten überzeugt sind, ein vergebliches Unterfangen.


IV. Platon läßt grüßen

Ein Teil der Computerkultur, so scheint es, träumt die Zukunft auf der Basis von Ideen, die von Platon stammen, als ob sich manche seiner Vorstellungen nicht im konkreten Vollzug der menschlichen Geschichte bereits als einseitig und lebensfeindlich erwiesen hätten. Das ist um so erstaunlicher, als die Moderne in der Regel als materialistisch, auf Sinnlichkeit und Empirie bezogen, dem Körperkult verfallen und fern aller reinen Geistigkeit beschrieben wird. Es ist auch deshalb erstaunlich, weil in der Philosophie, den Naturwissenschaften und in der Wissenschaftstheorie jedes statische und ontologische Denken vom Denken in Prozessen, Paradigmen und Wahrscheinlichkeiten abgelöst ist. Nicht was ist, sondern was wird, ist das eigentliche Thema.

Der Platonismus in der Computerkultur wird in den drei beschriebenen Träumen sichtbar: dem Traum von der Allwissenheit, dem Traum von der Formalisierung der Kreativität und dem Traum von der Neuschöpfung des Lebens.


  1. Der Traum von der Allwissenheit

    Glaubt man manchen Propheten der Computerisierung, dann läßt sich die gesamte Wirklichkeit als Information abbilden, gibt es eine Identität von Realität und informellem Abbild, sind Begriffe, wenn sie "wahr" sind, mit dem identisch, was sie begreifen.

    Gelänge die vollständige Abbildung der Welt, dann befände man sich tatsächlich im Reich der platonischen Ideen. Es gäbe nichts mehr, was nicht bereits in seinem Begriff enthalten wäre, das virtuelle A wäre Urbild und Variationen aller A in allen Zeiten. Der Positivismus, den man längst überwunden glaubte, scheint im Reich der Computer neue Anhänger zu finden.

    Man muß die unaufhebbare Differenz zwischen den Phänomenen und dem erkennen, was wir an ihnen verstehen, um dieser Versuchung des Platonismus zu entgehen. Informationen sind perspektivische Zugriffe auf die Bedeutung der Wirklichkeit in einem bestimmten Horizont. Von daher erscheint der Informationsoptimismus, der allenthalben um sich greift, naiv und nahezu absurd. Auch wenn es gelänge, die Welt im Maßstab 1 zu 1 abzubilden, hätte man noch nichts an ihr begriffen.

  2. Der Traum von der Formalisierung der Kreativität

    Die Welt der Computer hat etwas Abstraktes, Kühles und Unsinnliches. Wahrnehmung reduziert sich auf audiovisuelle Wahrnehmung, auf Bild und Ton, und wandert vom Körper weg in den Kopf. Was ist, erscheint als reines Gehirnphänomen.

    Auch der Traum von der Formalisierbarkeit der Kreativität leitet sich von Platon her. Der Platonismus ist vom Ansatz her deduktiv und vernachlässigt deshalb die konkrete Welt und die Individualität der Menschen. Die schöpferische Freiheit verkörpert dagegen die Widerständigkeit und Unableitbarkeit der konkreten Wirklichkeit und damit auch der Geschichte. Die Zukunft liegt in dieser Offenheit. Insofern die Computerkultur der deduktiven Versuchung des Platonismus verpflichtet ist, steht sie in der Gefahr, die Wirklichkeit auf Kosten des Lebens zu formalisieren und zu schematisieren. Es gibt kein System, in dem konkrete Menschen nicht Störfaktoren sind.

  3. Der Traum von der Neuschöpfung des Lebens

    Insofern Minsky und andere davon ausgehen, daß sich Intelligenz, Geist und Selbstbewußtsein aus der komplexen Organisation einfacher, nichtbewußter Elemente ergeben, sind sie Materialisten und Monisten. Wenn Minsky andererseits davon träumt, Maschinen zu transferieren, spitzt der Dualismus aus dem Monismus, denn im Hintergrund steht die Teilung der Welt in Geist und Materie. Von da ist es nicht weit zu der manichäischen Auffassung, daß das Gute und Göttliche im Menschen, sein Geist, in der Materie gefangen sitzt und sich von ihr befreien sollte. Die Materie wird zum Reich des Bösen.

    Auch in dieser Perspektive des Platonismus steckt eine massive Abwertung des Menschen, wie er ist. Insofern die Computerkultur zu Dualismen neigt, führt sie zu einseitigen und rudimentären Anthropologien. Menschen sind jedoch ganzheitliche Phänomene.


Der bekannte Theologe Karl Rahner hat die Kritik an diesen Formen von Platonismus, selbst gesetzt, man könnte ein vollständiges System im Kopf erzeugen und alles wissen, so auf den Punkt gebracht: "Und (angenommen) es wäre die Summe aller dieser Wissenschaften doch in meinem Kopf, so wäre sie eben in meinem Kopf, als von mir gedachte, von mir arrangierte, von mir als Freiem gebrauchte... Die Summe der wissenschaftlichen Antworten würde, in einem konkreten Subjekt von Freiheit gedacht, zusammen wieder eine unbeantwortbare Frage bilden."

Die Anthropologie, die sich daraus ergibt, ist ganzheitlich, sinnlich und geschichtlich: Wir denken und fühlen, wir nehmen wahr und wir sind im Werden. Alle Entwürfe, die einseitig den Geist, die Intelligenz, die Emotion oder was auch immer verabsolutieren, reduzieren uns auf weniger, als wir sind und können.



Ausführlichere Angaben zum Thema über e-mail beim Verfasser: woerther@aol.com

   


    

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