Splatterfilm / George Romeros / Zombies


Timo Kozlowski

George Romeros „Land of the Dead“

Einige der blutigsten Splatterfilme gehen auf George Alvar Romeros Konto. Sein „Night of the living dead“ gilt als Geburtsstunde des Zombiefilms, wie man ihn heute kennt, und ohne den auch Capcoms Action-Adventure-Serie „Resident Evil“ nicht entstanden wäre. In seinen Zombiefilmen hatte George Romero nicht nur die Grenze des Zeigbaren im Gruselkino neu ausgelotet und den Jugendschützern neue Dimensionen des Schneidbaren aufgezeigt – Romeros Filme waren immer auch mit einem zynischen Gesellschaftskommentar unterlegt, der seine Filme über die Masse der Metzelfilme hinaushob. 20 Jahre nach seinem letzten Zombiefilm, „Day of the Dead“, kommt Romero mit seinem neuesten Film, „Land of the Dead“ in die deutschen Kinos. Romero, der mittlerweile dem Aussehen seiner Geschöpfe immer ähnlicher wird, liefert mit seinem neuen Film ein typisches Alterswerk ab – gereift führt er die verschiedenen Themen seiner früheren Filme zusammen. Ein Blick auf Romeros frühere drei Zombiefilme lohnt.


Seht die wankenden Gestalten – Night of the living dead


Für den Horrorfilm begannen die 70er Jahre schon 1968 mit George Romeros „Night of the living dead“. Romeros Debütfilm, gedreht für etwa 114.000 Dollar unter Mithilfe von Freunden und einem Metzger aus Pittsburgh, hat wie schon gesagt natürlich auch die Form aller nachfolgenden Zombiestreifen beeinflusst – dass Zombies Menschenfleisch essen, mit drögem Blick umherwanken und durch gezielten Schuss in den Kopf getötet werden. Aber das ist nur das Vordergründige. „Night of the living dead“ brachte auch in anderer Hinsicht etwas Neues in die Welt der Gruselstreifen.

In Romeros Film fallen zwei Dinge weg, die zuvor im Gruselfilm ein wichtiger Bestandteil waren. Zum einen verzichtete „Night of the living dead“ nämlich auf jegliche Begründung des Schreckens – warum steigen die Toten aus ihren Gräbern? Was ist der Grund? Was ist der Zweck? Es wird nur angedeutet, der Grund dafür könnte eine Forschungssonde sein, die nach ihrer Rückkehr von der Venus eine neuartige Strahlung mitgebracht hat. Diese Andeutung ist aber nicht mehr als eine ironische Anspielung auf schnell heruntergekurbelte Science Fiction-Schocker aus den 50er Jahren. Die Frage nach dem Warum bleibt am Ende unbeantwortet.

Zum anderen verweigert sich der Film auch einem moralischen Appell an den Zuschauer. Aber gerade eine konservative bis reaktionäre Moral ist ja sozusagen das Rückgrat des Horrorfilms, das sich am deutlichsten in späteren Serienkillerstreifen à la „Halloween“ und „Friday the 13th“ oder mit den Mitteln der Ironie bloßgestellt in „Scream“ von Wes Craven und Kevin Williamson zeigt. In „Night of the living dead“ gibt es jedoch kein eindeutig Gutes oder Böses. Die Zombies sind nur nicht mehr am Leben. Aber da die Zombies ja kein Bewusstsein haben, können sie zwischen solchen abstrakten Begriffen nicht unterscheiden. Sie versuchen einfach nur, einen der primitivsten und auch wirkungsvollsten Stimulus des Menschen zu stillen – die Gier nach Essen.

Und dieser Verzicht auf Metaphysik und reaktionäre Moral lässt George Romeros Filme aus der Flut von Zombiefilmen weit herausstechen. Aus Romeros Filmen dringt immer ein nihilistischer Grundton, der Moral als solche nicht ernst nehmen kann und sie daher auch nicht transportieren kann. Statt dessen öffnet dieser inhärente Nihilismus den Weg, um in seinen Filmen soziale Kritik zu üben.

Der Held des Films, Ben, ist ein Schwarzer, der erste farbige Held eines Horrorfilms. Ben ist die Identifikationsfigur für den Zuschauer, und vor dem Hintergrund seines besonnenen Handelns wird erst so richtig klar, dass alle anderen Charaktere entweder kopflos oder rein egoistisch handeln. So überlebt Ben am Ende die Nacht der lebenden Toten als einziger der im Haus Eingeschlossenen – um am nächsten Morgen von selbst ernannten Zombiejägern erschossen wird. In dieser bösen Schlusspointe wurde bald eine Kritik am inhärenten Rassismus der US-Gesellschaft gesehen. Als der Film gedreht wurde und in die Kinos kam, war die Rassentrennung in den USA erst vier Jahre zuvor durch den Civil Rights Act von 1964 abgeschafft worden. Martin Luther King wurde im selben Jahr ermordet und das FBI untersuchte die Morde an schwarzen Bürgerrechtlern durch den Ku Klux Clan. Im Nachhinein ist diese Lesart des Films durchaus schlüssig – doch Romero hatte den Part nicht für einen Schwarzen geschrieben. Aber der spätere Hauptdarsteller Duane Jones hatte ihn während des Castings so beeindruckt, dass er ihn unbedingt im Film haben wollte.


Gehacktes im Schlussverkauf – Dawn of the Dead

In seinem zweiten Zombiefilm, „Dawn of the Dead“, schenkte George Romero der Sozialkritik größere Aufmerksamkeit und verwendete Stilmittel der Satire, um diese Kritik dem Zuschauer zu vermitteln. Der größte Teil der Handlung spielt in einem Einkaufszentrum auf der grünen Wiese. Die Helden – zwei Mitglieder einer Sondereinheit zur Zombiebedezimierung, ein Hubschrauberpilot und eine Fernsehjournalistin – verbarrikadieren sich dort. Die lebenden Leichen, die zuvor noch durch die Geschäfte taumelten, werden rasch entsorgt und ausgesperrt.
Die Shopping Mall und der Einfluss auf den American Way of Life stehen im Zentrum von „Dawn of the Dead“. Niemand im Film kann sich dem Konsumrausch entziehen – nicht einmal die Zombies:

Francine Parker: They're still here.
Stephen: They're after us. They know we're still in here.
Peter: They're after the place. They don't know why, they just remember. Remember that they want to be in here.
Francine Parker: What the hell are they?
Peter: They're us that's all, when there's no more room in hell.
Stephen: What?
Peter: Something my grand-dad used to tell us. You know Mucumba? Voodoo. My grand-dad was a priest in Trinidad. He used to tell us, “when there's no more room in hell, the dead will walk the earth.”


Nach dem Sonnenaufgang kommt der „Day of the Dead“

Und dieser zentrale Gedanke aus „Dawn of the Dead“ wird im dritten Teil, „Day of the Dead“, noch weiter ausgeführt und zur Entfaltung gebracht. In „Day of the Dead“ ist die Apokalypse beinahe komplett. Die anscheinend einzigen Überlebenden haben sich in einem unterirdischen Bunker verschanzt: Militärs, Zivilisten und Wissenschaftler sind auf engstem Raum zusammengepfercht. Die Stimmung ist gereizt, da alle drei Gruppen völlig uneins sind, wie mit der Situation umgegangen werden soll. Die Zivilisten wollen mit dem Hubschrauber fliehen, die Militärs die Zombies ausrotten – und der Wissenschaftler Dr. Logan will die Zombies resozialisieren.

Da Zombies nur instinktiv handeln, müssen sie erzogen werden können, so Logans These. Eines seiner Versuchsobjekte, von Logan Bub genannt, macht auch überraschende Fortschritte und scheint sich an sein Leben vor dem Tod zu erinnern. Doch die Spannungen innerhalb der farbenreich zusammengewürfelten Gruppe und das konstante Misstrauen untereinander führen schließlich zur Katastrophe. Nur die drei Zivilisten überleben und fliegen mit dem Hubschrauber auf eine Paradiesinsel in eine wahrscheinlich bessere Zukunft.

In „Day of the Dead“ stehen zwei Weltanschauungen gegenüber, wie man mit der Bedrohung von außen umgehen könnte. Auf der einen Seite die Soldaten, die – you are either with us or against us – die Gefahr eliminieren wollen; und auf der anderen Dr. Logan, der die Gefahr wieder ins System integrieren möchte. Am Ende sind jedoch beide Möglichkeiten diskreditiert und der Unterschied zwischen den Menschen fressenden Zombies einerseits und den Zombies jagenden Militärs andererseits und auch selbst der Unterschied dieser Gruppen zu dem an Zombies experimentierenden Dr. Logan verschwimmen immer mehr, je weiter der Film voranschreitet. Die Gesellschaft hat sich schon aufgelöst, und ohne soziale Kontrolle durch sie folgt der einzelne Mensch immer mehr seinen Instinkten – und unterscheidet sich dadurch nicht mehr von den Zombies. „They are us“, dieser Satz ist die radikale Quintessenz von George Romeros Zombiefilmen. Und damit unterschieden sie sich auch fundamental von italienischen Zombiestreifen à la Lucio Fulci oder dem Videospiel „Resident Evil“. Bezeichnenderweise sollte George Romero zuerst dessen Verfilmung übernehmen, stieg aber schon in der Vorproduktion nach kreativen Differenzen mit Produzent Bernd Eichinger aus dem Projekt aus.


Untotes Amalgam – Land of the Dead

Romeros neuer Film, „Land of the Dead“ greift alle diese Elemente erneut auf und führt sie zusammen. Der Plot ist schnell erzählt. Die Welt ist nun fast vollständig zusammengebrochen. In Pittsburgh haben sich die überlebenden Menschen eingeschlossen. Im Zentrum steht ein nochmals abgeriegelter Wolkenkratzer – Fiddler's Green –, in dem sich die Reichen unter Leitung des Industriellen Kaufman (Dennis Hopper) zusammengeschlossen haben. Eine Gruppe unerschrockener Söldner unter Führung von Riley (Simon Baker) fährt mit einem waffenstarrenden gepanzerten Lastwagen, „Dead Reckoning“ – einerseits Koppelnavigation, andererseits kann man darin „die Abrechnung mit den Toten“ darin sehen – immer wieder aus der Stadt, um neue Nahrungsmittel zu beschaffen. Cholo (John Leguizamo), ein Mitglied von Rileys Truppe, hatte Jahre lang gespart, um sich ebenfalls ein Appartment in Kaufmans Reichenghetto zu sichern. Aber als Kaufman ihm zu verstehen gibt, dass er als mexikanischstämmiger Aufsteiger niemals ein Appartment bekommen wird, entführt Cholo Dead Reckoning und droht, von diesem Truck aus Kaufmans Wolkenkratzer per Lenkraketen in Schutt und Asche zu legen. Kaufman hetzt ihm Riley auf die Fersen.

Das ist die Haupthandlung des Films. Darin eingeflochten ist noch eine Nebenhandlung. Die Zombies entwickeln sich, sie beginnen, langsam aber sicher zu denken – wenn auch in beschränktem Maße. Ein ehemaliger Tankwart wird quasi zum Zombie-Marx und führt die Untoten in Richtung Stadt. Mit diesen Bildern von der wankenden und scheinbar gesichtslosen Masse greift Romero ein bestimmtes Angstbild der amerikanischen Konservativen auf: Die Angst vor der organisierten Arbeiterschaft aus dem „Reich des Bösen“ (Ronald Reagan). So wie Marx und Engels im 19. Jahrhundert der Arbeiterbewegung durch das Kommunistische Manifest erst den richtigen Schwung gaben, so ähnlich entsteht die Zombiebewegung erst unter der Führung des Tankwarts.

Romero setzt den Trend von „Day of the Dead“ fort, die Zombies „sympathischer“ als die Menschen darzustellen. Dabei greift er die Filmsprache von Sergeij Eisenstein auf. Eisenstein hatte in seinen berühmten Sowjetfilmen „Streik“ und „Panzerkreuzer Potemkin“ die Masse als positive Größe dargestellt, indem er einzelne Personen herausgriff und als Individuen darstellte – ganz im Gegensatz zu Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ oder „Olympia“. Riefenstahl setzte einzelne Personen als abstrakte Elemente zur Ästhetisierung des Geschehens ein. Einzelne Personen wurden nicht als Individuen dargestellt, sondern zu Funktionsträger innerhalb des NS-Apparates reduziert, die nur in Bezug auf den „Führer“ eine Daseinsberechtigung hatten. Romeros Epigonen bei der Darstellung der Zombies eher in Riefenstahls Richtung tendieren. Durch Romeros mehrdeutige Darstellung der Zombies – als tumbe Kreaturen einerseits aber andererseits auch als Individuen – gelangt „Land of the Dead“  über den reinen Augenblick des Thrills und des Ekels hinaus zur Sozialkritik.

Wer die drei Vorgängerfilme kennt, für den ist „Land of the Dead“ ein beständiges Déjà Vu. Die Tankstelle des IQ-Zombies erinnert frappierend an die Tankstelle, die in „Night of the living Dead“ in Flammen aufgeht. Die Zombies stürmen am Ende den Konsumtempel der oberen Eintausend und wanken durch die Geschäfte wie weiland schon in „Dawn of the Dead“. Allein schon an der sichtbaren Oberfläche zitiert sich Romero kontinuierlich selbst. Doch auch auf der Ebene der Figuren greift er die Themen der vorherigen Filme auf und verschärft sie noch.


„They are just trying to find a place ... just like us“

Der katastrophale Ausgang der Handlung kommt in „Night of the living Dead“, „Dawn of the Dead“ und „Day of the Dead“ immer daher, dass die Menschen nicht zusammenarbeiten – man misstraut sich gegenseitig und versucht, sich gegenseitig eins auszuwischen. Der Egoismus und Tribalismus entstehen, weil die soziale Kontrolle fehlt. Der Staat ist nicht mehr existent. Es gilt das Recht des Stärkeren bzw. des Reicheren.

Kaufman macht sich zum absoluten Herrscher über die Stadt. „You have no right!“ wiederholt er gegenüber allen. Am Ende auch gegenüber den Zombies, die in sein Reich eingedrungen sind, als sein kleines Imperium schon längst zusammengebrochen ist. Sich selbst sieht er als Wohltäter und Retter, der den Überlebenden Brot und Spiele bietet. In einem Club lassen sich angeschickerte Teenager mit angeketteten Zombies ablichten und in einer eingezäunten Arena werden junge Frauen Zombies vorgeworfen. Die Zuschauer wetten auf den Zombie, der am schnellsten das Opfer verschlingen kann. Der Mensch hat die Zivilisation endgültig hinter sich gelassen und Thomas Hobbes' Sentenz, jeder Mensch sei dem anderen ein Wolf, wird hier in bunten Farben ausgemalt.

Und darin übertrifft „Land of the Dead“ alle anderen Zombiefilme. Die Belagerung durch die Zombies ist nur die äußere Geschichte. Das eigentliche Thema ist der Mensch und seine Gesellschaft. Wie kann man sich innerhalb der Gesellschaft bewegen? Der Film gibt darauf drei mögliche Antworten in Form von drei Figuren.
Einmal Kaufman als Vertreter der Konservativen von Rechtsaußen. Er bereitet für die, die es sich leisten können, ein eigenes Refugium, von der normalen Welt komplett abgeriegelt. Geld wird in Kaufmans Welt zur sozialen Grenze. Wer kein Geld hat oder sich das Geld mühsam erspart hat, der muss draußen bleiben.

Cholo vertritt den Aufsteiger-Typ, dem aufgrund seiner Rasse der Aufstieg versagt bleibt. Er wird aus Enttäuschung darüber zum Kriminellen und Terroristen, dessen einziges Ziel am Ende darin besteht, die Gesellschaft, die ihn nicht aufnehmen will, zu zerstören.

Riley ist die komplexeste Figur des Films. Romero schenkt ihm die größte Aufmerksamkeit. Aufgrund dieser Komplexität fällt Riley auch durch das grobe Raster, in das die anderen Figuren passen. Zum einen wird er als Identifikationsfigur für den Zuschauer aufgebaut. Inmitten des Wahnsinns scheint er zunächst der einzige zu sein, der sich Mitgefühl und moralische Integrität bewahrt hat. Doch dieses positive Bild wird mit dem weiteren Verlauf der Handlung immer weiter unterminiert, so dass aus der positiven Identifikationsfigur ein egoistischer Nihilist wird, der die Welt als unrettbar verloren ansieht und alles hinter sich lassen will. Ab nach Kanada – das ist seine Devise. Als er von Kaufman ausgeschickt wird, um Dead Reckoning wiederzubeschaffen, sagt er Kaufmans Aufpassern auf dem Weg, dass er den Truck nicht zurückbringen wolle. Aber im Gegensatz zu Cholo will er den Panzerlaster nicht zur persönlichen Rache einsetzen sondern zur Flucht. Riley hat erkannt, dass der Unterschied zwischen Mensch und Untoten immer geringer wird.

Eines der letzten Bilder des Films ist eine Horde Zombies, die unter Führung des Tankwart-Untoten in die verlassene Stadt marschiert. Die Untoten haben in gewissem Sinne mehr Intelligenz als die Lebenden gezeigt. Wo sich die Helden des Films gegenseitig bekämpft hatten, hatten sie zusammengearbeitet und sich dadurch gegenseitig gestärkt. Riley betrachtet die wankenden Gestalten. Warum 'töte' er die Zombies denn nicht, wird er gefragt. Riley antwortet: „They are just trying to find a place of their own ... just like us.“ Und dann macht er sich auf in Richtung Kanada. Die Welt ist ohnehin nicht mehr zu retten. Hoffen wir, dass Romero mit dieser Weltsicht nicht Recht behält.



Verfasser: Timo Kozlowski, veröffentlicht am 20.10.2005

 

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