Stephanie Krawehl

Visionen des Posthum(an)en
Körperbilder in der Vorstellung vom Nachmenschlichen


Abstract: Die technologisch-medizinischen Entwicklungen sind heute soweit fortgeschritten, dass die Wahrnehmungen aus natürlichen und künstlichen Sinnesorganen ununterscheidbar für den menschlichen Organismus und nicht zuletzt für sein Bewusstsein und seine Identität werden. Cyborg, Cyberpunk und digitaler Körper scheinen in ihrem biologischen Reduktionismus eine Lösung aus dem existentiellen Dilemma der menschlichen Bedingtheit zu bieten, die nach dem Untergang der totalitären und liberalen Ideologien eine neue Vision der menschlichen Ordnung – jenseits der körperlichen Begrenzung – verheißen. Dabei gehen die Befriedigung phantasmatischer Entkörperlichungsbegierden und die Entfaltungsoptionen neuer Subjektivität Hand in Hand.

 

Der Körper in der menschlichen, androiden und virtuellen Ordnung

Nach der Prognose des amerikanischen Spezialisten für Künstliche Intelligenz, Ray Kurzweil, der man Glauben schenken mag oder nicht, ist die Schwelle von biologischen zu elektronischen Systemen bereits im Jahr 2099 überschritten, so dass die Zahl der "ausschließlich softwareresidenten Menschen" sogar "bei weitem die derjenigen, die nach wie vor die traditionelle Neuronen/ Zellen-basierte Verarbeitungsmethode benutzen", übertreffen wird.
Mit diesem Postulat stellt Kurzweil die Identität des abendländischen Menschen radikal in Frage, wobei sich hierin nicht nur der alte Wunsch nach einer neuen Ordnung des Lebendigen unter Ausschluss der Leiblichkeit widerspiegelt, sondern auch der nach einer Intelligenz, deren Vorteil das Unvermögen sein wird, nicht mehr zwischen dem Bewusstheitsgrad der eigenen Illusionen differenzieren zu können. Kurzweils These wird vor dem Hintergrund einer Zeit verständlich, in der man sich im allgemeinen intensiv mit der Kollision eines naturwissenschaftlichen, technischen Weltbildes und eines humanistisch geprägten auseinandergesetzt und im speziellen nach dem Autor als Ursprung der Sinnproduktion fragt: Ist sein Status noch der eines herrschaftlichen Subjekts als Souverän der Daten oder der eines Beobachters, eines selbst in Feedbackschleifen eingebauten Wesens als Teil "des" Systems?

Das Konzept des Posthumanismus beruht in erster Linie auf dem technischen Umbau des Körpers, auf der überschreitung der Grenzen des Physischen mit dem Ziel nicht mehr nur der Ergänzung und Extension des lebendigen Körpers, sondern seiner überwindung, die gleichzeitig erkenntnistheoretische, kulturelle und politische Veränderung impliziert. Die amerikanische Feministin Donna Haraway hat 1983 – ironisch – in ihrem Cyborg-Manifest den übertritt von dem hierarchisch strukturierten Herrschaftssystem zu dem der Informatik beschrieben und den Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts ontologisch als Cyborg, als Grenzgänger zwischen Geist, Materie und damit Geschlecht begründet.
Für die Debatte um das postbiologische Zukunftswesen (wie den molekularen Roboter, kurz Nanobot) ist dabei kennzeichnend, dass sich die Theorien zwischen spekulativer Futorologie und hypothetischer szientifischer Reflexion bewegen, wobei ein reduktionistischer Ansatz (wie bei Kurzweil in der Gleichung: Denken = Rechnen) und die Mythologisierung bzw. Ideologisierung der neuen Erkenntnisse in jedem der Ansätze nachweislich vorhanden ist.


Der Cyborg

Der Cyborg verbindet die Eigenschaften des Menschen mit den Aufrüstungen der künstlichen-Intelligenz-Forschung. Aus Utopie und Horrorvision der Science Fiction ist er als ein Modell hervorgegangen, das sowohl Autonomie als auch totale Angepasstheit an seine Umgebung vereint: Ursprünglich gedacht als eine Verschaltung von Körper und Maschine, die es dem Menschen ermöglichen sollte, ohne Raumanzug im Weltall zu überleben, ging seine zivilwirtschaftliche Entwicklung immer weiter weg von einer Autonomie des Lebendigen hin zu einer Abschaffung desselben. Begreift man unter Autonomie allerdings die politischen Grundwerte der Selbstbestimmung und körperlichen Integrität, ist deren gewollte Abschaffung als das Ergebnis einer bewussten Entscheidung zu sehen: Die Definition physischer Vollkommenheit hängt heute zunehmend von der individuellen Fähigkeit ab, sich von nicht-rationalen Motivationen und Begierden gelöst und (damit) optimal an die sozialen Standards des Kapitalismus angepasst zu haben.

Die Verabschiedung vom Körper als Selbst, als Mittel des Umweltbezugs, wie im posthumanen Modell eindeutig angestrebt (und im transhumanen wie dem Cyborg bereits erreicht), wird aber überhaupt erst möglich sein, wenn die Maschine in der Lage ist, selbstreferentiell zu interagieren, d.h., sowohl wahrnehmen als auch eigenaktiv handeln zu können. Gerhart Schweitzer, Gründungsmitglied der Nanorobotik, gab auf seinem Vortrag Der Roboter – Eine autonome Person oder verlängerter Arm des Menschen? im November 2000 in München folgende menschliche Eigenschaften und Lebensformen an, die (noch) nicht auf Roboter übertragbar sind: die Intelligenz unter dem Aspekt der Begründung für ein bestimmtes Tun, das Selbstbewusstsein, gekoppelt an eine individuelle Erlebnisperspektive, den Umgang mit der Zeit in Form von Identität und Lebensplanung sowie die Expressivität in Verbindung mit der Errichtung einer ästhetik; ferner die verbindende kulturelle Gemeinschaftspraxis, die Bildung und der Erfahrungsschatz als Voraussetzung zur Persönlichkeitsentfaltung, sowie den Gerechtigkeitssinn und – damit zusammenhängend - die Selbstachtung.

Interessanterweise fällt die genealogische Reproduktion dabei schon nicht mehr in den kennzeichnenden Bereich des Menschlichen, da bereits in der artificial-life-Forschung die biologischen Prozesse soweit nachgebaut werden können, dass Evolution stattfinden kann. Das Kernproblem der Forschung sieht Schweitzer folglich in der Kommunikation von Mensch und Maschine, ihre Grenzen nicht bestimmt durch die Fragen der Ethik, sondern der Politik.
Somit wird das Blickfeld auf die Herrschaftsdiskurse vor allem um die Frage nach der Monopolisierung von Macht erweitert: Denn wenn der Zugang zu der lebensverändernden Technik immer verbunden sein wird mit der Potenz von Einzelnen gegenüber denjenigen, die sie sich nicht leisten können, ist die neue Ordnung a priori eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft, die demzufolge nicht mit der Realisierung utopischer Gesellschaftsentwürfe überwunden wäre.


Der Cyberpunk

Die Ironie der Figur des Cyberpunks liegt gerade in seiner Unterwanderung dieser Zwei-Klassen-Gesellschaft: Er kam in der Rolle des anarchischen Outsiders aus der Gosse des "unt(echnologisi)er(t)en" Lebens, um sich der Hochtechnologie zu bemächtigen und sein destruktives Spiel mit ihr zu treiben. Dabei ist der Körper nicht mehr als ein Stück Fleisch, ein Wirt für die Technik, um die "konsensuelle Halluzination" (Gibson), das Navigieren durch die Datenmatrix, zu ermöglichen. Aber der Mythos von der Glückseligkeit in der Virtualität wird bei Gibson definitiv nicht eingelöst: Es gibt keine spirituelle Befreiung in der Matrix. Der Cyberpunk suggeriert (und zwar mit sozialkritischem Impetus), dass Maschinen Geist haben können und Menschen Geist sind (die über Gehirnimplantate kommunizieren).


Der Cyberkörper

Hans Moravec treibt diese platonische Vision von der reinen Intelligenz bis zum völligen Verschwinden des Körpers, den er als das Gehirn in seiner Funktion nur behindern zu sehen vermag, voran: Wenn der Körper altert, altert auch das Gehirn, weshalb es Schritt für Schritt durch Elektronik ersetzt werden müsse, bis es als Software frei zu den unterschiedlichen Hardwares in einer Welt des körperlosen Geistes zu "schweben" imstande sei. Dann würde der menschliche Geist bzw. das Bewusstsein auf eine Maschine übertragen, die nach dem Ableben des biologischen Körpers in einen vorher designten Körper, der nurmehr eine von biologischen Lebensbedingungen unabhängige Hardware wäre, einginge, und auf bis zu 10.000facher Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns hochgetunt werden könne. Moravec geht davon aus, dass der ontologische Status des Menschen von der Hardware zur Software übergehen und die menschliche Identität sich nicht mehr durch einen materiellen Träger, sondern durch ein bestimmtes neuronales Muster konstituieren wird. Und damit wird der Mensch, oder das, was davon übrig bleibt, endlich unsterblich.

Slavoj Zizek wies in diesem Zusammenhang bereits auf die wiederholte Konfrontation mit dem Leibnizschen Problem des Ununterscheidbaren hin: "Wenn mein Gehirn (das Muster desselben) auf einen anderen materiellen Träger geladen wird, welches der beiden 'Bewusstseine' ist dann 'Ich'?" (Zizek, Der Mensch). Und: was passiert mit dem (organischem) Körper in der (äußeren) Realität, während das Bewusstsein gerade in einem virtuellen steckt?
Denn während des Prozesses der Immersion lässt sich leicht vergessen, dass Präsenz im virtuellen Raum nur möglich sein kann als Repräsentation bzw. Telepräsenz, der Körper demnach aufgespaltet werden muss in einen physischen und einen virtuellen Teilkörper. Solange die Wahrnehmung des Selbst die Dualität von realem und virtuellem Körper erkennt – das Nervensystem wird langfristig "umgeschult" –, wird es zu keiner Konfusion bei der Grenzziehung von simulierter und primärer Welt und damit zu einer Störung des Identitätsgefühls kommen. Wenn nicht, würde der Versuch, einer (typisch postmodernen) Identitätskrise in der äußeren Welt durch die Simulation einer technischen Realität zu entkommen, (unbewusst) konterkariert, indem entweder die Fiktion prothetischer Imagination nicht nur nicht aufrechterhalten, sondern bis zu narzisstischen Omnipotenzphantasien gesteigert würde, d.h., der Verlust einer Kohärenz von Identität mit dem Verlust der Kontrolle über die Realität korrelierte.

Das wiederum hätte epistemologisch eine Verwirrung der verschiedenen Sinnzuschreibungen (je nach primärer und sekundärer Erfahrung) zur Folge, und damit potentiell auch die der zwischenmenschlichen Beziehungen, deren Erleben ebenfalls ein Switchen zwischen den verschiedenen Seinszuständen und Kommunikationssituationen (wobei natürlich auch hier gerade die primären Interaktionsmuster nicht automatisch die besseren sein müssen) erfordert.

Die virtuelle Realität versteht sich also auf der einen Seite als Parallelwelt zur Alltagswirklichkeit, die nur im Computer existiert, auf der anderen Seite aber auch als Erweiterung der Lebenswelt, die es dem Menschen erlaubt, die Grenzen der alltäglichen Erfahrung zu überschreiten, um in Welten einzutauchen, die primär nicht physisch erfahrbar sind. Sie birgt also auch eine Form der (Anti-) Utopie, die in Opposition zur Realwelt stehen kann, und die die Defizite, die im alltäglichen Umgang mit Sozietät erfahren werden, zu kompensieren imstande ist.
Das Ziel dabei gestaltet sich allerdings als eine Art von egalitärem Kommunitarismus, als eine internationale Kultur in Einmütigkeit, die leicht in die Form einer aufgezwungenen Identifikation mit einer Gemeinschaft umkippen kann, also in einen Zwang zur Konformität, indem sie eine überlagerung und Vervielfachung von Differenzen und Willkürlichkeiten der Einzelnen auszumerzen imstande und gezwungen ist. Bei all dieser Sicherheit, die die künstliche Zivilisation hier verspricht, deutet auch das wiederum nur auf eine große Furcht der Gesellschaft hin, die eben diese zu akzeptieren verweigert hat – das Problem der Xenophobie würde also weder realiter noch virtuell gelöst, sondern sich höchstens verschieben.


Cyborg und Cyberkörper in ihrer geschlechtlichen Differenz

Alan Turings Test zur Unterscheidung von Mensch und Maschine erfuhr als solcher bereits einmal eine Verschiebung von Mensch zur Maschine, denn ursprünglich sollte er der Unterscheidung von Mann und Frau dienen. Was aber, wenn nun durch die Transzendenz und die Abschaffung der Geschlechterdifferenz in der postbiologischen Welt die tatsächliche Ununterscheidbarkeit von Mensch und Maschine nicht einträte? Wenn sich herausstellte, dass "die sexuelle Differenz nicht einfach nur ein biologisches Faktum ist, sondern das Reale eines Antagonismus, der das Menschsein definiert"(Zizek)? Wenn der kybernetische Körper – entgegen der techno-korporalen Verheißung einer neuen Ordnung jenseits von Verdinglichung und Besitzergreifung – weder frei von ideologischen Implikationen noch von ("unreiner" geschlechtlicher) Materialität wäre?

Anne Balsamo, Professorin für Literatur-, Kommunikations- und Kulturwissenschaften, sieht in der Neugestaltung des "natürlichen" Körpers durch die Techno-Kultur jedenfalls nicht die erwünschte Dekonstruktion von Gender. Vielmehr scheint es ihr, als ob, und obwohl der Körper in den technologischen und medizinischen Diskursen neu kodiert wurde, die selbst ja eher einer kulturellen als einer natürlichen Ordnung zugehören, Gender ein naturalisiertes Kennzeichen menschlicher Identität bliebe. Demnach hat auch der aufgerüstete, denaturierte (weibliche) Techno-Körper immer noch eine materielle Identität, rekonstruiert nach den kulturellen und ideologischen Standards der Warenästhetik. Die Mythen von Identität, Natur und Körper werden mit Hilfe der neuen Technologien sogar derart wieder zusammengestrickt, dass die traditionellen Erzählungen über den geschlechtlich und rassisch gekennzeichneten Körper sozial und technologisch reproduziert würden.

Samantha Holland, die das Problem des kartesischen Dualismus und der Geschlechts-identität in Verbindung mit den Auswirkungen einer Technologie auf das menschliche Selbst anhand der Darstellungen des Cyborgs im Film untersucht, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass die Körper der Cyborgs in der Tat eine Rolle spielen. Denn Cyborgs zeigen nicht nur, dass sie neben dem Geist auch einen (menschlichen) Körper haben, sondern sogar, dass dieser übertrieben geschlechtsspezifische Merkmale besitzt. Sie erklärt diese höchst geschlechtliche Repräsentation damit, dass die heimliche Bedrohung, die die Cyborgs in dem Verlust des menschlichen Körpers erkennen ließen, abzuwehren versucht wird, wo immer dieser Verlust den Verlust der Geschlechtsunterschiede impliziert, die wiederum essentiell sind, um die patriarchale Ordnung aufrechtzuerhalten. Gerade Figuren wie Robocop können daher, so Holland, sowohl als Affirmation einer hegemonialen Männlichkeit als auch als hysterische überkompensation einer Männlichkeit in der Krise gelesen werden.

Die Feministinnen sehen also die Rede von der "Abschaffung des Menschen" vielmehr als eine von dem "Ende der Welt des heterosexuellen weißen Mannes" – und kommen zu dem Schluss, dass die derzeitigen Angebote an Körper- und Subjektivitätsmodellen auch wieder nur nach den (diskursiven) reproduktionellen und sexuellen Funktionen konstruiert würden.


Cyborg und Tod

Damit wäre der sozial- und sexualutopische Aspekt des Cyborgs also noch in weiter Ferne. Doch was heißt der Ausschluss von Leiblichkeit des Techno-Körpers in Bezug auf seinen Tod? Bedeutet er die Grenze der Selbstmanipulation des Menschen oder seinen Freibrief?
Gentechnologie und mediale Genealogie geben vor, dass Sterben heutzutage nicht mehr unausweichlich ist, sondern lediglich die Folge einer (selbstverschuldeten) Ablehnung von Technik, wodurch der Tod also (abermals) zur Klassenfrage würde.

Der rein physische Tod des Körpers infolge seiner Fragmentarisierung könnte allerdings auch mit einem Tod des Affekts korrespondieren, wie die technologisch-pornographische Erzählung Crash von J.G. Ballard zeigt: hier wird ein prothetisch verlängerter, amputierter Techno-Körper inszeniert, der ohne organisches Lustempfinden, ohne sexuelle Bezüglichkeit und Grenzen ist, was auch heißt: ohne Mitleid für Leidende, ohne Konzept von Tod und dadurch ohne Wertschätzung für das Leben. – Ein futuristisches Körperbild, das den Körper als materielles Objekt begreift und nicht als Leib, durch den die Welt erfahren wird, und das die Verheißungen des mechanischen bzw. technologischen Körper-Bildes gegen sich selbst wendend pervertiert.


Fazit

Gerade das Cyberspace scheint die Versprechungen von entkörperter Rationalität, von der überwindung des Todes und des Geschlechts und damit den obsolet gewordenen Ideologien einzulösen, indem es das virtuelle Aufgehen, die Aufhebung von Identität im Cyberspace, ermöglicht, die einer (phantasmagorischen) Rückkehr in den Zustand des Ungeborenseins gleichkommt. Das Substrat, das einerseits diese Nutznießung ermöglicht und sich andererseits zur Aufrechterhaltung seines Systems aus ebendiesen Nutznießern speist, trägt ironischerweise den Namen Matrix. In ihr herrschen willkürliche Regeln, die zeitweilig außer Kraft gesetzt werden können, Tod und Vergänglichkeit spielen in der symbolischen Ordnung für das Subjekt zwar keine Rolle – nicht einmal die Sexualität, die hierin auf ein kindlich-harmloses Spiel reduziert wird (nach Zizek, Matrix) – aber der Preis dieser Freiheit kann für das Subjekt die Aufgabe seiner Aktivität, die Störung seines Identitätsgefühls oder aber des Gemeinschaftsgefühls bedeuten.

Die Verweigerung des Körpers muss freilich als eine Verteidigungsstrategie des Körpers interpretiert werden, um überhaupt in der Virtualität kommunizieren zu können. Da er aber das theoretische Versprechen des Einstürzens von Geschlecht und Identität als kulturell organisierte Systeme der Differenzierung de facto nicht einhalten kann, und ferner auch realisieren muss, dass er dadurch die Kontrolle über seinen Körper verliert, muss der "natürliche" Körper Bit für Bit mit Hilfe der Technik letztendlich doch wiederhergestellt werden.
Daher seine Wiederkehr als Avatar.
Auch wenn die Idee des freien Willens vielleicht nur ein kulturelles Konstrukt ist, und die Aussicht auf eine fremde Erlebnisperspektive nicht nur verlockend, sondern sogar wünschenswert ist, würde die Aufgabe der natürlichen (biologischen) Grenzen letztendlich doch nicht nur Freiheit durch Unsterblichkeit bedeuten, sondern gerade auch die Abwertung menschlicher Eigenschaften und Eigenbewertungen (wie ein bewusstes Dagegenentscheiden) – gemessen an den Bedingungen des Kapitalismus. Damit muss sich eine gegenwärtige Bewertung der Utopien von Entgrenzung und Entdifferenzierung des fixierten Menschenbildes und der hegemonialen Diskurse zwischen revolutionär und affirmativ bewegen.
Die besten Verständnis- und Vorstellungsoptionen der (elitären) theoretischen Diskurse bieten indes die literarischen und audiovisuellen Diskurse des (selbst in der Postmoderne noch abgewerteten) Genres der Science Fiction, die nicht zuletzt sogar in ihren Visionen und Utopie einer Reflexion durch die Wissenschaften voraus sind.


Literatur

  • Ballard, James G.: Crash. Bellheim 1985
  • Balsamo, Anne: Forms of Technological Embodiment: Reading the Body in Contemporary Culture. In: Featherstone/ Burrows 1995, S. 215-237
  • Emrich, Hinderik M.: Cyberspace – Künstliche Wirklichkeiten und Psychedeligenese. In: Rötzer/ Weibel 1993, S. 280-288
  • Featherstone, Mike/ Burrows, Roger (Hgg): Cyberspace, Cyberbodies, Cyberpunk. London 1995
  • Freyermuth, Gundolf S.: Wir sind Cyborgs. über die Geburt der Maschinenmenschheit. 26.06.1996, aktueller Stand unter http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2035/1.html
  • Gibson, William: Neuromancer. München 1984
  • Harraway, Donna. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a.M. 1995
  • Holland, Samantha: Descartes Goes to Hollywood: Mind, Body and Gender in Contemporary Cyborg Cinema. In: Featherstone/ Burrows 1995, S. 205-214
  • Kiefer, Erich: Leonardos Traum. Auf dem Weg zum Intelligenten Virtuellen Realitätssystem. In: Rötzer/ Weibel 1993, S. 214-255
  • Kurzweil, Ray: Homo S@piens. Leben im 21. Jahrhundert – Was bleibt vom Menschen? Köln 1999
  • List, Elisabeth: Platon im Cyberspace. Technologien der Entkörperlichung und Visionen vom körperlosen Selbst. In: Modelmog, Ilse/ Auwärter-Kirsch, Edith (Hgg.): Kultur in Bewegung. Freiburg 1996, S. 83-109
  • Lüdeking, Karlheinz: Vom konstruierten zum liquiden Körper. In: Müller-Tamm, Pia/ Sykora, Katharina (Hgg): Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne. Köln 1999, S. 219-233
  • Moravec, Hans: Geist ohne Körper – Visionen von der reinen Intelligenz. In: Kaiser, Gert/ Matejovski, Dirk/ Fedrowitz, Jutta (Hgg.): Kultur und Technik im 21. Jahrhundert. Frankfurt/ New York 1993 (Schriftenreihe des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen; Bd.1), S. 81-90
  • Neuhaus, Wolfgang: "Escape while you can?" Das Gespenst des Posthumanismus. 26.11.1996, aktueller Stand unter http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2075/2.html
  • Robins, Kevin: Cyberspace and the World We Live in. In: Featherstone/ Burrows 1995, S. 135-155
  • Rötzer, Florian/ Weibel, Peter (Hgg): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk. München 1993
  • Schröder, Peter: Virtuelle Realität – Ein weiter Weg. In: Rötzer/ Weibel 1993, S. 203-213
  • Sobchack, Vivian: Beating the Meat/ Surviving of the Text, or How to Get of This Century Alive. In: Featherstone/ Burrows 1995, S. 205-214
  • Stone, Alluquère Rosanne: Will the Real Body Please Stand Up? 1994, aktueller Stand unter http://www.rochester.edu/College/FS/Publications/StoneBody.html
  • Virilio, Paul: Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. Frankfurt 1996
  • Zizek, Slavoj: The Matrix, or the two sides of Perversion. 03.12.1999, aktueller Stand unter http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-9912/msg00019.html
  • Zizek, Slavoj: Der Mensch auf dem Weg zum reinen Geist. Vorüberlegungen zum Umgang mit spirituellen Maschinen. In: Literaturen 01/2001, S. 70-75. übers. v. Nikolaus Schneider


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