Stephanie Krawehl Visionen des Posthum(an)en
Der Körper in der menschlichen, androiden und virtuellen Ordnung Nach der Prognose des amerikanischen Spezialisten für
Künstliche Intelligenz, Ray Kurzweil, der man Glauben schenken
mag oder nicht, ist die Schwelle von biologischen zu elektronischen
Systemen bereits im Jahr 2099 überschritten, so dass die Zahl der
"ausschließlich softwareresidenten Menschen" sogar "bei
weitem die derjenigen, die nach wie vor die traditionelle Neuronen/
Zellen-basierte Verarbeitungsmethode benutzen", übertreffen
wird. Das Konzept des Posthumanismus beruht in erster Linie
auf dem technischen Umbau des Körpers, auf der überschreitung
der Grenzen des Physischen mit dem Ziel nicht mehr nur der Ergänzung
und Extension des lebendigen Körpers, sondern seiner überwindung,
die gleichzeitig erkenntnistheoretische, kulturelle und politische Veränderung
impliziert. Die amerikanische Feministin Donna Haraway hat 1983
ironisch in ihrem Cyborg-Manifest den übertritt von dem
hierarchisch strukturierten Herrschaftssystem zu dem der Informatik
beschrieben und den Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts ontologisch
als Cyborg, als Grenzgänger zwischen Geist, Materie und damit Geschlecht
begründet. Der Cyborg Der Cyborg verbindet die Eigenschaften des Menschen mit den Aufrüstungen der künstlichen-Intelligenz-Forschung. Aus Utopie und Horrorvision der Science Fiction ist er als ein Modell hervorgegangen, das sowohl Autonomie als auch totale Angepasstheit an seine Umgebung vereint: Ursprünglich gedacht als eine Verschaltung von Körper und Maschine, die es dem Menschen ermöglichen sollte, ohne Raumanzug im Weltall zu überleben, ging seine zivilwirtschaftliche Entwicklung immer weiter weg von einer Autonomie des Lebendigen hin zu einer Abschaffung desselben. Begreift man unter Autonomie allerdings die politischen Grundwerte der Selbstbestimmung und körperlichen Integrität, ist deren gewollte Abschaffung als das Ergebnis einer bewussten Entscheidung zu sehen: Die Definition physischer Vollkommenheit hängt heute zunehmend von der individuellen Fähigkeit ab, sich von nicht-rationalen Motivationen und Begierden gelöst und (damit) optimal an die sozialen Standards des Kapitalismus angepasst zu haben. Die Verabschiedung vom Körper als Selbst, als Mittel des Umweltbezugs, wie im posthumanen Modell eindeutig angestrebt (und im transhumanen wie dem Cyborg bereits erreicht), wird aber überhaupt erst möglich sein, wenn die Maschine in der Lage ist, selbstreferentiell zu interagieren, d.h., sowohl wahrnehmen als auch eigenaktiv handeln zu können. Gerhart Schweitzer, Gründungsmitglied der Nanorobotik, gab auf seinem Vortrag Der Roboter Eine autonome Person oder verlängerter Arm des Menschen? im November 2000 in München folgende menschliche Eigenschaften und Lebensformen an, die (noch) nicht auf Roboter übertragbar sind: die Intelligenz unter dem Aspekt der Begründung für ein bestimmtes Tun, das Selbstbewusstsein, gekoppelt an eine individuelle Erlebnisperspektive, den Umgang mit der Zeit in Form von Identität und Lebensplanung sowie die Expressivität in Verbindung mit der Errichtung einer ästhetik; ferner die verbindende kulturelle Gemeinschaftspraxis, die Bildung und der Erfahrungsschatz als Voraussetzung zur Persönlichkeitsentfaltung, sowie den Gerechtigkeitssinn und damit zusammenhängend - die Selbstachtung. Interessanterweise fällt die genealogische Reproduktion
dabei schon nicht mehr in den kennzeichnenden Bereich des Menschlichen,
da bereits in der artificial-life-Forschung die biologischen Prozesse
soweit nachgebaut werden können, dass Evolution stattfinden kann.
Das Kernproblem der Forschung sieht Schweitzer folglich in der Kommunikation
von Mensch und Maschine, ihre Grenzen nicht bestimmt durch die Fragen
der Ethik, sondern der Politik. Der Cyberpunk Die Ironie der Figur des Cyberpunks liegt gerade in seiner Unterwanderung dieser Zwei-Klassen-Gesellschaft: Er kam in der Rolle des anarchischen Outsiders aus der Gosse des "unt(echnologisi)er(t)en" Lebens, um sich der Hochtechnologie zu bemächtigen und sein destruktives Spiel mit ihr zu treiben. Dabei ist der Körper nicht mehr als ein Stück Fleisch, ein Wirt für die Technik, um die "konsensuelle Halluzination" (Gibson), das Navigieren durch die Datenmatrix, zu ermöglichen. Aber der Mythos von der Glückseligkeit in der Virtualität wird bei Gibson definitiv nicht eingelöst: Es gibt keine spirituelle Befreiung in der Matrix. Der Cyberpunk suggeriert (und zwar mit sozialkritischem Impetus), dass Maschinen Geist haben können und Menschen Geist sind (die über Gehirnimplantate kommunizieren). Der Cyberkörper Hans Moravec treibt diese platonische Vision von der reinen Intelligenz bis zum völligen Verschwinden des Körpers, den er als das Gehirn in seiner Funktion nur behindern zu sehen vermag, voran: Wenn der Körper altert, altert auch das Gehirn, weshalb es Schritt für Schritt durch Elektronik ersetzt werden müsse, bis es als Software frei zu den unterschiedlichen Hardwares in einer Welt des körperlosen Geistes zu "schweben" imstande sei. Dann würde der menschliche Geist bzw. das Bewusstsein auf eine Maschine übertragen, die nach dem Ableben des biologischen Körpers in einen vorher designten Körper, der nurmehr eine von biologischen Lebensbedingungen unabhängige Hardware wäre, einginge, und auf bis zu 10.000facher Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns hochgetunt werden könne. Moravec geht davon aus, dass der ontologische Status des Menschen von der Hardware zur Software übergehen und die menschliche Identität sich nicht mehr durch einen materiellen Träger, sondern durch ein bestimmtes neuronales Muster konstituieren wird. Und damit wird der Mensch, oder das, was davon übrig bleibt, endlich unsterblich. Slavoj Zizek wies in diesem Zusammenhang bereits auf die
wiederholte Konfrontation mit dem Leibnizschen Problem des Ununterscheidbaren
hin: "Wenn mein Gehirn (das Muster desselben) auf einen anderen
materiellen Träger geladen wird, welches der beiden 'Bewusstseine'
ist dann 'Ich'?" (Zizek, Der Mensch). Und: was passiert mit dem
(organischem) Körper in der (äußeren) Realität,
während das Bewusstsein gerade in einem virtuellen steckt? Das wiederum hätte epistemologisch eine Verwirrung der verschiedenen Sinnzuschreibungen (je nach primärer und sekundärer Erfahrung) zur Folge, und damit potentiell auch die der zwischenmenschlichen Beziehungen, deren Erleben ebenfalls ein Switchen zwischen den verschiedenen Seinszuständen und Kommunikationssituationen (wobei natürlich auch hier gerade die primären Interaktionsmuster nicht automatisch die besseren sein müssen) erfordert. Die virtuelle Realität versteht sich also auf der
einen Seite als Parallelwelt zur Alltagswirklichkeit, die nur im Computer
existiert, auf der anderen Seite aber auch als Erweiterung der Lebenswelt,
die es dem Menschen erlaubt, die Grenzen der alltäglichen Erfahrung
zu überschreiten, um in Welten einzutauchen, die primär nicht
physisch erfahrbar sind. Sie birgt also auch eine Form der (Anti-) Utopie,
die in Opposition zur Realwelt stehen kann, und die die Defizite, die
im alltäglichen Umgang mit Sozietät erfahren werden, zu kompensieren
imstande ist. Cyborg und Cyberkörper in ihrer geschlechtlichen Differenz Alan Turings Test zur Unterscheidung von Mensch und Maschine erfuhr als solcher bereits einmal eine Verschiebung von Mensch zur Maschine, denn ursprünglich sollte er der Unterscheidung von Mann und Frau dienen. Was aber, wenn nun durch die Transzendenz und die Abschaffung der Geschlechterdifferenz in der postbiologischen Welt die tatsächliche Ununterscheidbarkeit von Mensch und Maschine nicht einträte? Wenn sich herausstellte, dass "die sexuelle Differenz nicht einfach nur ein biologisches Faktum ist, sondern das Reale eines Antagonismus, der das Menschsein definiert"(Zizek)? Wenn der kybernetische Körper entgegen der techno-korporalen Verheißung einer neuen Ordnung jenseits von Verdinglichung und Besitzergreifung weder frei von ideologischen Implikationen noch von ("unreiner" geschlechtlicher) Materialität wäre? Anne Balsamo, Professorin für Literatur-, Kommunikations- und Kulturwissenschaften, sieht in der Neugestaltung des "natürlichen" Körpers durch die Techno-Kultur jedenfalls nicht die erwünschte Dekonstruktion von Gender. Vielmehr scheint es ihr, als ob, und obwohl der Körper in den technologischen und medizinischen Diskursen neu kodiert wurde, die selbst ja eher einer kulturellen als einer natürlichen Ordnung zugehören, Gender ein naturalisiertes Kennzeichen menschlicher Identität bliebe. Demnach hat auch der aufgerüstete, denaturierte (weibliche) Techno-Körper immer noch eine materielle Identität, rekonstruiert nach den kulturellen und ideologischen Standards der Warenästhetik. Die Mythen von Identität, Natur und Körper werden mit Hilfe der neuen Technologien sogar derart wieder zusammengestrickt, dass die traditionellen Erzählungen über den geschlechtlich und rassisch gekennzeichneten Körper sozial und technologisch reproduziert würden. Samantha Holland, die das Problem des kartesischen Dualismus und der Geschlechts-identität in Verbindung mit den Auswirkungen einer Technologie auf das menschliche Selbst anhand der Darstellungen des Cyborgs im Film untersucht, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass die Körper der Cyborgs in der Tat eine Rolle spielen. Denn Cyborgs zeigen nicht nur, dass sie neben dem Geist auch einen (menschlichen) Körper haben, sondern sogar, dass dieser übertrieben geschlechtsspezifische Merkmale besitzt. Sie erklärt diese höchst geschlechtliche Repräsentation damit, dass die heimliche Bedrohung, die die Cyborgs in dem Verlust des menschlichen Körpers erkennen ließen, abzuwehren versucht wird, wo immer dieser Verlust den Verlust der Geschlechtsunterschiede impliziert, die wiederum essentiell sind, um die patriarchale Ordnung aufrechtzuerhalten. Gerade Figuren wie Robocop können daher, so Holland, sowohl als Affirmation einer hegemonialen Männlichkeit als auch als hysterische überkompensation einer Männlichkeit in der Krise gelesen werden. Die Feministinnen sehen also die Rede von der "Abschaffung des Menschen" vielmehr als eine von dem "Ende der Welt des heterosexuellen weißen Mannes" und kommen zu dem Schluss, dass die derzeitigen Angebote an Körper- und Subjektivitätsmodellen auch wieder nur nach den (diskursiven) reproduktionellen und sexuellen Funktionen konstruiert würden. Cyborg und Tod Damit wäre der sozial- und sexualutopische Aspekt
des Cyborgs also noch in weiter Ferne. Doch was heißt der Ausschluss
von Leiblichkeit des Techno-Körpers in Bezug auf seinen Tod? Bedeutet
er die Grenze der Selbstmanipulation des Menschen oder seinen Freibrief? Der rein physische Tod des Körpers infolge seiner Fragmentarisierung könnte allerdings auch mit einem Tod des Affekts korrespondieren, wie die technologisch-pornographische Erzählung Crash von J.G. Ballard zeigt: hier wird ein prothetisch verlängerter, amputierter Techno-Körper inszeniert, der ohne organisches Lustempfinden, ohne sexuelle Bezüglichkeit und Grenzen ist, was auch heißt: ohne Mitleid für Leidende, ohne Konzept von Tod und dadurch ohne Wertschätzung für das Leben. Ein futuristisches Körperbild, das den Körper als materielles Objekt begreift und nicht als Leib, durch den die Welt erfahren wird, und das die Verheißungen des mechanischen bzw. technologischen Körper-Bildes gegen sich selbst wendend pervertiert. Fazit Gerade das Cyberspace scheint die Versprechungen von entkörperter Rationalität, von der überwindung des Todes und des Geschlechts und damit den obsolet gewordenen Ideologien einzulösen, indem es das virtuelle Aufgehen, die Aufhebung von Identität im Cyberspace, ermöglicht, die einer (phantasmagorischen) Rückkehr in den Zustand des Ungeborenseins gleichkommt. Das Substrat, das einerseits diese Nutznießung ermöglicht und sich andererseits zur Aufrechterhaltung seines Systems aus ebendiesen Nutznießern speist, trägt ironischerweise den Namen Matrix. In ihr herrschen willkürliche Regeln, die zeitweilig außer Kraft gesetzt werden können, Tod und Vergänglichkeit spielen in der symbolischen Ordnung für das Subjekt zwar keine Rolle nicht einmal die Sexualität, die hierin auf ein kindlich-harmloses Spiel reduziert wird (nach Zizek, Matrix) aber der Preis dieser Freiheit kann für das Subjekt die Aufgabe seiner Aktivität, die Störung seines Identitätsgefühls oder aber des Gemeinschaftsgefühls bedeuten. Die Verweigerung des Körpers muss freilich als eine
Verteidigungsstrategie des Körpers interpretiert werden, um überhaupt
in der Virtualität kommunizieren zu können. Da er aber das
theoretische Versprechen des Einstürzens von Geschlecht und Identität
als kulturell organisierte Systeme der Differenzierung de facto nicht
einhalten kann, und ferner auch realisieren muss, dass er dadurch die
Kontrolle über seinen Körper verliert, muss der "natürliche"
Körper Bit für Bit mit Hilfe der Technik letztendlich doch
wiederhergestellt werden. Literatur
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Ausführlichere Angaben zum Thema über e-mail beim Verfasser des Artikels: medienobservationen@lrz.uni-muenchen.de |