Elfriede Jelinek / Literaturnobelpreis / Gratulation |
Oliver Jahraus Elfriede Jelinek hat
den Literaturnobelpreis bekommen – zu Recht!
Die Medienobservationen gratulieren Der Nobelpreis ist immer ein Politikum. Jedes Jahr auf Neue wird auch spekuliert, welche Gründe jenseits des Werkes des ausgezeichneten Autors noch eine Rolle gespielt haben mögen: Geschlecht, Hautfarbe, Herkunftsland, Kontinent, nicht-literarische Aktivitäten oder was man sonst noch so anführen mag. Man darf solche literaturfernen Gründe für einen Literaturnobelpreis nicht grundsätzlich kritisieren. Wären sie nicht im Spiel, wäre es schwieriger, gegenüber dem dominanten westlichen mainstream die Literaturen aus eher peripheren Kulturkreisen überhaupt hervorzuheben. Und insofern hat der Literaturpreis auch die Funktion, die Aufmerksamkeit der literarischen Weltöffentlichkeit zu lenken. Doch dieses Jahr landet der Literaturnobelpreis in Österreich und damit auch in einem historischen Zentrum der westlichen Kultur – die Österreicher hören’s gern. Elfriede Jelinek ist eine klassische Autorin, wenn man das so sagen kann. Bei aller Einzigartigkeit, die ein solcher Nobelpreis auch auszeichnet, muss man doch sagen, dass im weltliterarischen Überblick Jelinek eine geradezu prototypische Schriftstellerkarriere absolviert hat, aus der ein beeindruckendes literarisches Werk hervorgegangen ist. Ein Werk, das aber auch prototypische Vorstellungen von Werkhaftigkeit erfüllt. Geradezu klassisch die Gattungsverteilung: Romane und Dramen bilden den Kern des Werkes. Dazu eine ausgezeichnete Kontinuität. Da ist kein einzelnes Buch, das irgendwie besonders herausragen und viele andere, eher abseitige Texte überstrahlen würde. Im Gegenteil, Jelinek gehört zu den am kontinuierlichsten produzierenden Autor(inn)en. Aber gerade deswegen, weil, gemessen am literarischen Werk, das damit ausgezeichnet wird, diese Entscheidung des Nobelpreiskomittees wenig Grund zur Spekulation, zur Diskussion, zur Überraschung, zur Fragwürdigkeit bietet, freut uns diese Entscheidung. Die literarischen Gründe, so kann man sagen, haben dieses Jahr, im Vergleich zu manchen Entscheidungen der letzten Jahren, eindeutig überwogen. Und so klassisch ist dieses Werk ist, so exzeptionell ist es auch. Elfriede Jelinek ist eine große und böse Monomanin und insofern eine typische Österreicherin und eine Schülerin von Thomas Bernhard. Dass er nie den Nobelpreis erhalten hat, wiederum gemessen an manch anderen Nobelpreisträger(inn)en, ist ein Skandal. Nungut, man kann den Nobelpreis an Elfriede Jelinek auch als späte und indirekte Genugtuung an Thomas Bernhard begreifen, und Elfriede Jelinek muss sich das gefallen lassen. Auch wenn solch genealogische Überlegungen immer problematisch und nie zu verifizieren sind, auch wenn man nie wird sagen können, ohne Bernhard keine Jelinek, so wird doch Elfriede Jelinek selbst am besten wissen, was und wieviel sie Bernhard verdankt. Jeder Leser mag das für sich nachprüfen, ob nicht der Zynismus der Jelinek durch den Sarkasmus des Bernhard schon vorbereitet war. Man sagt nichts Ehrenrühriges, wenn man Jelinek als Schülerin von Bernhard bezeichnet. Im Gegenteil, damit wird auf der einen Seite die eigene, innovative und spezifische Entwicklung der Jelinek keineswegs in Frage gestellt, aber auf der anderen Seite werden so gerade Zusammenhänge deutlich, die ihr Werk auszeichnen. In der Berichterstattung über Jelineks Literaturnobelpreis wurde vor allem ihr feministisches und in diesem Sinne emanzipatorisches Engagement gewürdigt. Als Tenor einer allgemeinen Berichtserstattung und einer Kurzwürdigung mag das sicher hingegen, aber es trifft Jelinek wohl nicht ganz und es trifft wohl auch die Gründe nicht ganz, warum man den Literaturnobelpreis für sie begrüßen kann. Da hilft doch wieder die Bernhard-Perspektive weiter. Gerade wenn man darauf blickt, wo die Schülerin den Lehrer überragt und in ihrer Literatur das weitertreibt, was Bernhard vorgegeben hatte, erkennt man auch die gemeinsamen Interessen oder besser gesagt: jenen traumatischen Ursprung, aus dem heraus ihrer beider Werke entstehen, aus dem heraus sich ihr Stil, so unterschiedlich er mittlerweile geworden ist (das war nicht immer so), entwickelt hat und an dem sich ihr Werk immer wieder neu abarbeitet und somit fort-schreibt. Diesen Ursprung kann man durchaus mit dem Begriff „Österreich“ belegen. Elfriede Jelinek ist eine österreichische Autorin in jenem höheren oder tieferen Sinn, dem man dieser nationalen Zuschreibung überhaupt geben kann. Das bedeutet: Sie schreibt auch in und vor allem über Österreich. Auch sie ist eine späte Erbin des Habsburger-Mythos, was ja nichts anderes heißt, als dass diese kleine Alpenrepublik an sich schon jenen politischen Traumata des 20. Jahrhundert vom Untergang der Vielvölkermonarchie über den Austrofaschismus und den Anschluss bis hin zu den politischen Abwicklungen der derzeitigen Republik und bis zu Jörg Haider vorgegeben hat, aus denen Jelinek eine beeindruckende, bisweilen beängstigende literarische Energie der Werkproduktion zieht. Ihre Österreichbeschimpfungen sind viel dezenter als die von Bernhard – und doch viel radikaler und böser. Man wird das nie ganz durchschauen können, wenn man dieses literarische Österreich mit dem realen Land und seinen Leuten an jedem Punkt eins-zu-eins zur Deckung bringt, auch wenn das Jelinek vielleicht so gar nicht hören mag. Dieses Österreich ist immer auch eine Idee, die die Autoren, bevor sie darauf einschlagen oder sich davon abstoßen, immer erst selbst entwickeln. Wenn es überhaupt eine österreichische Literatur der Gegenwart gibt, die eine Eigenqualität besitzt und nicht als regionale Variante der deutschsprachigen Literatur allein betrachtet werden kann, dann liegt sie genau in dieser – durchaus vielfältigen – Idee, mit der Autoren ihr Österreich überhaupt erst konstituieren. Das ist eine Österreich-Idee, die durchaus von vielfältigen kultur- und soziohistorischen Faktoren bedingt ist, die vor allem aber im Wort von der „Versuchsstation für den Weltuntergang“ von Karl Krauss einen ihrer markantesten Ausdrücke gefunden hat. Jelinek ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr sich Österreich dafür anbietet, politische, soziale und kulturelle Missstände zu überzeichnen und auf die denkbar böseste Art bloßzustellen und radikal zu kritisieren. Das muss man schon erkennen, wenn man die Qualität, aber auch das Spezifische dieser österreichischen Literatur ermessen will. Daraus entwickeln sich die eigentlichen Themen, die nicht zuletzt und in ganz besonders drastischer, geradezu nobelpreiswürdiger Form das Werk von Elfriede Jelinek auszeichnen. Vielleicht lässt sich so auch ein Grundthema dieses Werkes ausmachen: es ist der gewisse faschistoide Grundzug dieser Gesellschaft und ihrer Kultur, für die Österreich dann wirklich nur noch zeichenhaft steht. Elfriede Jelinek hat diesem Bodensatz bislang am radikalsten nachgespürt; sie entdeckt sie zum Beispiel in der Mediennutzung, in der Warenwelt, aber auch – und erst an dieser Stelle kann man sinnvoll erst die Geschlechterthematik ins Spiel bringen – im nicht zuletzt sexuellen Verhältnis von Mann und Frau. Jelinek geht es nicht um eine konstruktive Kritik am Geschlechterverhältnis, sondern es geht ihr darum, im Geschlechterverhältnis die repressiven Strukturen aufzudecken, die Gesellschaften insgesamt auszeichnen. Jelinek muss auch nicht konstruktiv sein, dazu ist sie Schriftstellerin geworden. Aber es beeindruckt und raubt bisweilen, gerade nach längerer Lektüre, Atem oder Geduld, wenn spürbar wird, wie destruktiv und zynisch Elfriede Jelinek mit ihren Figuren, auch und gerade mit ihren Frauenfiguren umgeht. Ich kenne keine(n) Autor(in), der/die vergleich zynisch und böse die eigenen Figuren behandelt. Herausragen dürfte mittlerweile – bedingt durch die Rezeptionsgeschichte und nicht zuletzt durch die kongeniale Verfilmung von Michael Haneke mit Isabelle Huppert in der Titelrolle – sicherlich der Roman „Die Klavierspielerin“ aus dem Jahre 1986. Darin schildert sie das Schicksal der Klavierprofessorin Erika Kohut, die mit ihrer Mutter zusammenlebt. Anders als ihre Mutter es wollte, hat sie es nicht geschafft, eine Pianistenkarriere einzuschlagen, aber immerhin ist sie, wie ihre Mutter es wollte, bislang keine Beziehung zu einem Mann eingegangen. Elfriede Jelinek schildert eine Mutter-Tochter-Beziehung, die die Hölle und gleichzeitig Miniaturmodell einer repressiven Gesellschaft ist. Die Geschichte spielt in Wien, und wiederum gibt Österreich das Weltmodell ab. Als ein Schüler sich in Erika Kohut verliebt, werden Mechanismen von Perversion, Gewalt und Selbstverstümmelung in Gang gesetzt, in denen die Unterdrückungsprozeduren schonungslos zur Anwendung kommen. Jelinek schont ihre Figuren nicht, und auch nicht ihre Leser, und auch nicht ihre Zuschauer mit ihren Theaterstücken. Elfriede Jelinek hat Österreich viel zu verdanken – nämlich ihr Werk. Und jetzt hat auch noch Österreich Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis zu verdanken! Eine –deutsche! – Boulevard-Zeitung hat bereits getitelt: „Erfolg für Österreich. Jelinek holt den Literaturnobelpreis“ (oder so ähnlich). Das klingt fast wie eine verspätete Olympia-Berichterstattung, und gerne hätte man gewusst, wie knapp der Abstand zur Zweitplatzierten gewesen ist. Und auch hier muss man Jelinek in den Fußstapfen Bernhards sehen. So sehr Österreich den Autoren immer wieder jene schmerzlichen Vorlagen liefert, aus denen sie ihre Literatur machen, so sehr die Autoren auf Österreich einschlagen, so sehr schlägt aber auch die österreichische Öffentlichkeit, insbesondere durch ihre Politiker und ihren Medien, gerne zurück. Der Begriff der Nestbeschmutzung hätte in diesem Kontext Qualitäten, die anderenorts der Büchner-Preis hat. Aber – und das ist die eigentliche – Lehre, so belastet das Verhältnis zwischen dem Autor und seinem Land Österreich auch sein mag, nichts, aber auch gar nichts schützt den Autor vor der Vereinnahmung des Betriebes. Bernhard hat das posthum erlebt. Jelinek wird es zu Lebzeiten erleben, und durch den Nobelpreis schneller und vielleicht intensiver als erwartet. Und sie musste wohl schon eine allererste Ahnung davon gehabt haben in ihrer ersten, aber dennoch verhaltenen Freude. Wenn der Nobelpreis für Elfriede Jelinek auch ein Erfolg für Österreich ist, dann hat Österreich diesen Erfolg aber auch verdient! |
Verfasser: oliver.jahraus@gmx.de , veröffentlicht am 22.10.2004 |
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