Massenmedien / neue Mythologie / Frühromantik / Friedrich Schlegel |
Benjamin Marius Schmidt
Massenmedien - die post-moderne
Einlösung des Romantischen Programms einer Neuen Mythologie
Vermutung: Die heutigen Massenmedien können als die post-moderne Einlösung des romantischen Programms einer Neuen Mythologie betrachtet werden. Plausibilisierung: Als ideenschneller Vordenker der Frühromantik entwarf Friedrich Schlegel 1800, im Jahr des Scheiterns der Programmzeitschrift für romantische Ironie mit dem Namen Athenäum, die Vorstellung einer 'Neuen Mythologie'. Dieses Programm einer Neuen Mythologie sollte im Ausgang des turbulenten Jahrzehnts der 1790er die Misere moderner Poesie reparieren. Im Rückblick aus den 1990ern erkennen wir, dass Schlegel in seinen Überlegungen zu Moderner Poesie und Neuer Mythologie tatsächlich über das Verhältnis zwischen der situation post/moderne und der Realität der Massenmedien nachdachte. (Handelt es sich dabei um die überraschenden Einsichten des Propheten Schlegel, der sich hier als vorwärtsgewandter Historiker betätigt, oder liegt vielmehr ein Fall von preadaptive advances der kulturellen Semantik vor, die erst im Übergang aus dem Speicher- ins Funktionsgedächtnis retroaktiv zur Prognostik werden?) Die heute aktualisierbare Tiefendimension der Äusserungen Schlegels wird erkennbar durch einige geringfügige Verschiebungen im Text. Im folgenden Zitat ist der Ausdruck 'moderne Poesie' durch den Begriff 'PostModerne' ersetzt, und 'antike Poesie' bzw. 'die Alten' durch 'die Welt Alteuropas'. So lesen wir dann bei Schlegel als Theoretiker der PostModerne:
Alle Funktionen, die in der Frühromantik (erfolglos) der Neuen Mythologie zugedacht wurden, übernehmen in der PostModerne die Massenmedien. Ersetzen wir wiederum den Ausdruck 'Neue Mythologie' durch 'Massenmedien', so ergibt sich eine plausible frühromantische Theorie über Funktion und Leistung der Massenmedien für die und in der postmodernen Gesellschaft:
Die Gegenprobe - umgekehrte Einsetzung von 'Neue Mythologie' für 'massenmediale Kommunikation' in den Worten Niklas Luhmanns - erhärtet den Verdacht, der in der Eingangsthese ausgesprochen wurde: Die heutigen Massenmedien sind die post/moderne Einlösung des romantischen Programms einer Neuen Mythologie. Insgesamt dürfte der Beitrag der Neuen Mythologie darin liegen, Voraussetzungen für weitere Kommunikationen zu schaffen, die nicht eigens mitkommuniziert werden müssen. […] Weil die Neue Mythologie eine Hintergrundrealität erzeugt hat, von der man ausgehen kann, kann man davon abheben und sich mit persönlichen Meinungen, Zukunftseinschätzungen, Vorlieben usw. profilieren. Die gesellschaftliche Funktion der Neuen Mythologie findet man […] in dem dadurch erzeugten Gedächtnis. Für das Gesellschaftssystem besteht das Gedächtnis darin, daß man bei jeder Kommunikation bestimmte Realitätsannahmen als bekannt voraussetzen kann, ohne sie eigens in die Kommunikation einführen und begründen zu müssen.(4) Bemerkung Schlegels nicht weiter ausgeführte Idee, daß die Neue Mythologie auf der "Anerkennung" des "Selbstgesetzes" beruhe, erinnert an die Vorliebe sowohl der Systemtheorie wie auch der Massenmedien für Selbstreferenz. Sein etwas rätselhafter Gedanke, daß sich auf diese Weise aus dem Schoß des Idealismus "ein neuer ebenso grenzenloser Realismus" erheben werde(5), kann systemtheoretisch plausibilisiert werden mit dem Hinweis, daß es in den Massenmedien für die Gesellschaft um die "Erzeugung von Objekten" geht, "die in der weiteren Kommunikation vorausgesetzt werden können. Es wäre viel zu riskant, sich primär auf Verträge oder auf normativ einforderbare Konsense zu stützen. Objekte ergeben sich aus dem rekursiven Fungieren der Kommunikation ohne Verbot des Gegenteils"(6). Der neue Realismus, der sich laut Schlegel aus dem Schoss des Idealismus erheben soll, bedeutet nicht, Objekte als substantiell vorzufindende Dinge an sich zu betrachten, sondern zu sehen, dass im selbstreferentiellen, rekursiven Prozessieren der Kommunikation Eigenwerte entstehen, die als Objekte behandelt werden können. |
Ausführlichere Angaben zum Thema über
Post und e-mail beim Verfasser: Benjamin Marius Schmidt, Zentnerstr. 32,
D - 80798 München oder: Englisches Seminar der Universität Zürich, Plattenstr. 47, CH - 8032 Zürich marius@es.unizh.chmarius@es.unizh.ch |
Sämtliche Beiträge dürfen
ohne Einwilligung der Autoren ausschließlich zu privaten Zwecken genutzt
werden. Alle Rechte vorbehalten.
© Medienobservationen 1999.