Tobias Borup
Aufbau einer deskriptiven Theorie
des Bildes, die auf Allgemeinheit zielt
Die folgende Untersuchung
entstammt phänomenologischen und bewusstseinsanalytischen Überlegungen,
und folglich werden die Fragen über Sinn und Sein des Bildes aufgrund
einer Zergliederung ihrer Erscheinung beantwortet. Der erste Teil befasst
sich mit der Wahrnehmung von Farben im Bild und versucht, eine allgemeingültige
Bestimmung des Bildes als ein objektives Gesichtsfeld auszuarbeiten und
gegen einige mögliche Einwände zu verteidigen. Diese Bestimmung
dient im zweiten Teil als Grundlage für eine Deskription der Erfassung
von Sinnbezügen innerhalb der Bildwelt. Es wird hier behauptet und
dargelegt, wie sich unser gewöhnliches Situationverständnis
im Erschliessen der Zusammenhänge in bewegten Bilder lebendig erweist.
Teil I. Beantwortung einiger
bildästhetischer Grundfragen
Um einen verhältnismäßig klaren Überblick
über die ästhetischen Eigenschaften von Bildern zu schaffen,
werde ich zunächst versuchen, ihre allgemeinen Merkmale freizulegen.
Ein Bild wird als gefärbte Oberfläche behandelt, die aber um
gewisse Erscheinungsqualitäten erweitert worden ist. Die Aufgabe
besteht nun darin, diejenigen Qualitäten hervorzuheben, durch die
sich Bilder von anderen farbigen Oberflächen unterscheiden. Abschließend
lässt sich aufgrund des gewonnen Überblicks hoffentlich eine
Antwort auf die Frage wagen, was ein Bild denn sei. Ich bemühe mich
dabei um eine Definition, die Verschiedenheiten, wie sie zwischen Bildern
bestehen, weder verstellt noch beeinträchtigt.
Ausgehend von den Merkmalen und der Definition des Bildes ist es dann
meine Absicht, diejenigen Einheiten zu begreifen, die an der Sinngebung
im Bild beteiligt sind. In der Sprache haben wir einzelne Wörter
und Symbole zu unserer Verfügung, in der Musik finden wir die Töne
und ihre Intervalle. Aber es ist von Alters her ein Problem gewesen, jene
Einheiten zu bestimmen, durch die Gegenstände zu einer bildlichen
Darstellung kommen, oder passende Namen für sie zu finden. Ließen
diese Einheiten sie sich in ähnlich einfache Begriffe fassen, so
wäre das für den weiteren Aufbau einer Bildtheorie von entscheidender
Bedeutung. Ich denke hier insbesondere an die Idee einer Semantik des
Bildes, oder eben an die Frage, inwiefern sich von einer Semantik des
Bildes im traditionellen Sinne überhaupt sprechen lässt.
Unsere bildästhetischen Grundfragen lassen
sich also wie folgt zusammenfassen:
1. Wie sieht ein Bild aus?
2. Was ist ein Bild?
3. Welche Einheiten erfassen wir bei der Betrachtung eines Bildes?
1. Wie sieht ein Bild aus?
Zunächst benötigen wir eine Ästhetik des Bildes, das heißt:
eine Bestandsaufnahme der allgemeinen Merkmale, die der Erscheinung von
Bildern zukommen. Zu diesem Zweck können die unten aufgezeichneten
Figuren nützlich sein.
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Figur 1 |
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Figur 2 |
Die erste Figur besteht aus einer normalen,
schwarz und weiß gefärbten Oberfläche, der die Darstellungskraft
eines Bildes abgeht, während in Figur 2 ein Stuhl erscheint: Diese
zweite Figur verfügt über jene Mannigfaltigkeit ästhetischer
Zusammenhänge, die ein Bild auszeichnen. Wir können deswegen
die allgemeinen Züge eines Bildes hervorheben, indem wir versuchen,
Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten im Aussehen dieser beiden Figuren
ausfindig zu machen und begrifflich festzuhalten.
Fangen wir mit den Gemeinsamkeiten an. In beiden Fällen lässt
sich von einer Oberfläche sprechen, die Ausdehnung besitzt und die
unterschiedliche Färbungen trägt. Beide Figuren sind also als
selbständige farbige Oberflächen zu beschreiben, die in unserer
wirklichen Umgebung vorhanden sind. Gehen wir nun den Unterschieden nach,
indem wir das Wunder der Bildlichkeit in Fig. 2 genauer kategorisieren:
Erstens fällt auf, dass auf der Oberfläche des Papiers neue
Vorderseiten zu sehen sind, nämlich die der verschiedenen Teile des
Stuhls. Diese Vorderseiten des dargestellten Gegenstandes treten aus einer
gleichzeitig entstandenen Durchsichtigkeit im Bild hervor. Dieser Sachverhalt
ist bei jeder Bildbetrachtung gegeben: Das Bild begrenzt nicht wie Fig.
1. unseren Ausblick, so wie es etwa die Wände eines Zimmers täten,
sondern es lässt unseren Blick einen neuen bildlichen Raum erschliessen.
Die ausgeführte Entstehung von Durchsichtigkeit im Bild und der Vorderseiten
seines Motivs ist aber abhängig von, und verwoben mit, einer Reihe
ästhetischer Merkmale, die Bildern eigen sind. Sonst wäre ein
Bild ja nicht von einem Fenster zu unterscheiden. In erster Linie steht
der zu bildlicher Erscheinung gebrachte Stuhl notwendigerweise in einem
Verhältnis zu einem Sichtwinkel. Er wird von der Seite, vielleicht
auch ein bisschen von oben, aber nicht aus mehreren Winkeln zugleich gesehen.
Dieser Sichtwinkel impliziert einen Gesichtspunkt, der nicht unserem eigenen
entspricht. Es gibt bei einem Bild immer einen Anhaltspunkt für die
Betrachtung, einen „point of view“, der die Erscheinung des
Motivs mitbedingt: Einen Punkt, der sich sozusagen an der „Schnittstelle“
der Sichtwinkel befindet. Dass es sich so verhält, sieht man daran,
dass die Größe eines bildlich dargestellten Stuhles nicht von
der Größe des Bildes abhängt. Man kann einen großen
Stuhl auf einem kleinen Bild sehen und umgekehrt. Das zeigt, dass ein
eigenständiger Gesichtspunkt gemeinsam mit jedem Bild mitaufgefasst
wird, sonst müsste der dargestellte Gegenstand ja die Größe
seiner figurativen Ausdehnung entsprechen, was nicht der Fall zu sein
scheint. Auch diese Merkmale suchen wir vergebens in Fig. 1.
Als letztes wesentliches Merkmal bildlicher Erscheinung ergibt sich die
Anwesenheit von Unbestimmtheiten oder unbestimmten Teilen innerhalb des
Bildes. In Fig. 1. liegt alles als glatte Oberfläche offen. Nichts
versteckt sich hinter irgendetwas anderem, und wie wir uns auch orientieren,
wir können alles sehen, was wir wollen. Für Fig.2 gilt das nicht.
Hier sind die hinteren Seiten und Teile des Stuhls zwar in irgendeinem
Sinne da, aber dennoch als etwas Unbestimmtes. Sie sind nur angedeutet.
Unsere Auffassung des Stuhls ist durch den dem Bild eigenen Gesichtspunkt
und seine Winkel begrenzt. Ein Bild zeigt uns streng genommen immer nur
die vorderen Seiten eines Motivs, was immer versteckte Rückseiten
mit sich bringt.
Ausgehend von einer solchen Analyse der Erscheinung eines Bildes lässt
sich dessen Aussehen in folgender Weise kategorisieren:
Oberfläche |
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Bilderscheinung |
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Motiv |
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Ausdehnung |
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Neue Vorderseiten |
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Dingverteilung |
Färbungen |
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Durchsichtigkeit |
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Abstandsverhältnisse |
Selbständigkeit |
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Sichtwinkel |
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Gesichtspunkt |
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Unbestimmtheiten |
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Die erste Spalte enthält diejenigen Merkmale, die Bilder mit anderen
Oberflächen teilen; die zweite gibt die ästhetischen Besonderheiten
einer Bildoberfläche an, und die dritte stellt – in vorläufigen
Begriffen – fest, was es ist, das in einem Bild gesehen wird.
Diese Eigenschaften des Aussehens eines Bildes scheinen mir Notwendigkeit
zu besitzen. Sie können nicht einzeln auftreten, sondern sind sozusagen
aufeinander angewiesen, um ein Motiv darzustellen. Es gibt kein Bild,
das nur den Gesichtpunkt, nur eine neue Oberfläche oder nur eine
Unbestimmtheit zur Darstellung bringen kann. Die angeführten Merkmale
bilden ein ästhetisches Ganzes und treten gleichzeitig auf. Dass
es so sein muss, lässt sich schwerlich beweisen, aber man kann sich
schon darüber vergewissern, wenn man eine Oberfläche betrachtet,
die sich nicht sofort als Bild ausgibt, wie z.B. die Karten eines Rorschachtests.
Spielt man hier mit seinem Blick, so kann man für jedes neu gebildete
Motiv bestimmte Veränderungen der übrigen ästhetischen
Züge feststellen, indem man die Karte mal als eine reine Farbmannigfaltigkeit,
mal als Träger eines Motivs auffasst.
2. Was ist ein Bild?
Sollten wir nun aufgrund der gefundenen Merkmale versuchen eine Definition
des Bildes auszuarbeiten sind zweierlei Erfordernisse zu erfüllen:
Die Gattung und der spezifizierende Unterschied. Wir haben bereits die
übergeordnete Gattung des Bildes bestimmt: Es gehört zu den
sichtbaren Dingen mit „selbständigen farbigen Oberflächen.“
Das gilt aber für jeden Gegenstand in unserer Umgebung und sagt nichts
über die Eigenart von Bildern aus. Um der spezifischen Differenz
gerecht zu werden, müssen wir etwas finden, das auch die übrigen
Merkmale in sich trägt, um dadurch eine Gesamtauffassung davon zu
erreichen, was ein Bild ist. Daraus ergibt sich unmittelbar eine sonderbare
Schwierigkeit, denn vergleichen wir ein Bild mit anderen Dingen in unserer
Umgebung, so suchen wir vergeblich nach den Eigentümlichkeiten, die
uns am Bild aufgefallen sind. Weder Steine noch Äste haben einen
eigenen Gesichtspunkt oder unbestimmte Teile. Ein Ast ist als solcher
nicht an irgenwelchen Stellen unbestimmt, noch hat er einen eigenen Gesichtspunkt.
Die genannten Merkmale des Bildes sind sozusagen seltsame Undinge, die
nicht im gewöhnlichen Begriff vom Realen enthalten sind. Für
unser Definitionsverfahren ist diese Sachlage entscheidend, da ein Bild
sich anscheinend nicht so zum Dingbegriff verhält, wie ein Biber
zu „Nagetier“ oder ein Topf zu „Haushaltgerät“.
Aber wie ist die Sachlage denn zu deuten? Bedeutet die hervorgehobene
Irrealität der bildlichen Eigenschaften, dass das Bild eine ganz
eigene Gattung schafft, und herkunftslos als Neuerscheinung in unserer
Welt steht? Das ist eher unwahrscheinlich. Einige Leute meinen darum,
dass es sich um eine einfache Täuschung unserer Sinneswahrnehmung
handele, und sehen das Bild als blossen Anlass zur Erzeugung reiner Phantasiegebilde.
Andere sprechen sogar von einem geheimnisvollen „Code“, den
wir, ohne es zu merken, ganz schnell lesen. Ich würde keinen dieser
Wege empfehlen.Es gibt nähmlich trotz allem noch etwas, das alle
diejenigen Erscheinungsmerkmale enthält, die uns am Bild auffielen.
Es zählt nicht zu den selbständigen Dingen in unserer Umgebung,
sondern gehört vielmehr zum menschlichen Erkenntnisvermögen.
Dieses Etwas ist unser eigenes Gesichtsfeld.
In ihm breitet sich eben eine Mannigfaltigkeit von Farben aus, die uns
immer wieder neue Oberflächen sehen lässt; Vorderseiten, die
sich zur jeweiligen Durchsichtigkeit, zum Gesichtspunkt und zum Sichtwinkel
verhalten, und auch Rückseiten und Verdecktes in unbestimmter Form
andeuten. Was wir im Bild mitauffassen: Gesichtspunkt, Durchsichtigkeit,
Unbestimmtheiten und so weiter, tragen wir also als betrachtende Menschen
schon beim Orientieren mit uns herum.1 Nicht
in den äusseren Dingen, sondern erst in deren Wahrnehmung finden
wir also die Merkmale des Bildes in ursprünglicherer Form.
Die angeführte Übereinstimmung zwischen den Merkmalen eines
Bildes und unserem visuellen Wahrnehmungsfeld lässt also die Rede
von einer wenigstens formalen Identität zu und rechtfertigt in gewissem
Sinne die Einführung des „Gesichtsfeldes“ als Oberbegriff
des Bildlichen:
Ein Bild ist eine Art Gesichtsfeld
Um diese Feststellung für unsere Auffassung
vom Bild nutzbar zu machen, müssen wir die Frage stellen: Wie unterscheidet
sich das Bild von unserem Gesichtsfeld? Wie schon angedeutet, ist die
Seinsweise des Bildes von der unseres Gesichtfeldes völlig verschieden.
Das Bild ist etwas selbständiges, mit einem von mir unabhängigen
Dasein. Meinem Gesichtsfeld dagegen kommt eine Seinsweise zu, die mit
der unserer Empfindungen, Gedanken und Gefühle vergleichbar ist.
Es ist von mir abhängig und existiert allein dank meines erkennenden
Bewusstseins. Obwohl ein Bild also wesentliche Züge mit unserem Gesichtsfeld
gemeinsam hat, bleibt es doch ein Ding. Um diese Verwicklung von Ding
und Anschauung im Bild zu klären, lässt sich folgender Satz
anführen:
Ein Bild ist ein objektives Gesichtsfeld,
das in ein subjektives eintritt.
Diese ästhetische Möglichkeit schlummert
immer in unseren visuellen Warnehmungen, und wird in verschiedenen Bildertypen
in je besonderer Weise erfüllt. Dass heisst aber auch, dass ein Bild
von einem Fall zum nächsten die oben genannte Möglichkeit in
ganz unterschiedlicher Weise verwirklicht. Auf der eine Seite stehen die
unbezweifelbaren Filmaufnahmen, die uns das Aussehen von irgendetwas Wirklichem
zeigen, und die mit Erfolg in Gerichtsverfahren, zur Personenidentifikation
oder sogar bei chirurgischen Eingriffen benutzt werden; und auf der anderen
Seite gibt es die zufälligen Farbflecken, wie etwa die schon erwähnten
Muster aus einem Rorschachtest, oder die vielen abstrakten Malereien,
in denen wir uns die Motive selber suchen müssen. Ein Bild kann also
tatsächlich ein objektives Gesichtsfeld sein, oder es kann einfach
die Form dieses Feldes erfüllen oder es kann schließlich diese
Form nur auf verschiedene Weise ähnlich sein. Auf diese Unterschiede
sollte eine Definition des Bildes Rücksicht nehmen.
Dieser Zusammenhänge gegenwärtig, erhalten wir folgende zusammenfassende
Definition:
Ein Bild ist eine Oberfläche, deren
Farben ein eigenständiges Gesichtsfeld ausmachen oder ähnlich
sind.
3. Welche Einheiten erfassen wir
bei der Betrachtung eines Bildes?
Die gefundenen Übereinstimmungen zwischen Gesichtsfeld und Bildlichkeit,
auf denen die Definition beruht, erklären jene Leichtigkeit, mit
der wir ein Bild auffassen. Da sich die Farben im Bild wie eine primäre
Ausbreitung von Farben in einem Gesichtfeld verteilen, müssen wir
ja nichts anderes tun, als einfach das Bild betrachten, um zu erkennen,
was es darstellt.
Was diese Übereinstimmung aber nicht klärt, ist die Frage nach
der Beschaffenheit der einzelnen Einheiten im Bild. Wenn wir unsere wirkliche
Umgebung anschauen, dann bekommen wir wirkliche Dinge zu sehen, Tische,
Stühle, Wände usw. Die in einem Bild gesehene Dingverteilung
ist zwar gegenwärtig, sie ist jedoch keineswegs im selben Sinne greifbar.
Man kann die Frage stellen: Was sind denn eigentlich die Dinge im Bild?
Aus den obigen Beschreibungen ergibt sich, dass diese Einheiten nur Form
und Ausdehnung gewinnen können, indem sie visuell erschlossen werden.
Sie teilen mit ihrem jeweils zugehörigen Gegenstand die Charakteristika
der Anschauung, weiter nichts. Sie sind nicht den Gegenständen selbst
ähnlich, wie es z. B bei einer Skulptur der Fall ist, sondern immer
nur dem Aussehen dieser Gegenstände, ja sogar nur einem Teil dieses
Aussehens, immer in Relation zu einer Reihe allgemeiner Merkmale menschlicher
Gesichtswahrnehmung, nämlich der Vorderseite mit dem jeweiligen Gesichtspunkt,
-winkel, Durchsichtigkeit und Unbestimmtheiten.
Die Einheit eines in der Wirklichkeit angeschauten Gegenstandes entsteht,
indem die visuelle Vorderseite unter erfolgreicher Einbeziehung der übrigen
Erscheinungsmomente ergänzt wird. Hierdurch entsteht ein „Farbkörper“,
der die Form und Ausdehnung eines wirklichen Körpers überschaubar
macht. 2 Wie wir gesehen haben, lässt sich
dieses Verfahren auf der Bildoberfläche teilweise wiederholen, wodurch
die Darstellung in „Stücke“ zerlegt wird. Nach einer
solchen Auffassung sind diese Stücke nun Einheiten einer bildlichen
Dingverteilung; meiner Meinung nach verdienen sie den Namen dargestellte
Farbkörper, da sie für die Betrachtung hervorgebracht werden
und dem Bild innewohnen.
Damit ist also nicht gemeint, dass diese bildlich erzeugten Farbkörper
so aussehen wie die Dinge, obwohl sie eigentlich blosse Farben sind. Die
Behauptung lautet vielmehr, dass die Form der bildlichen Farbkörper
auf einer Anordnung von Farben beruht. Einer Anordnung nämlich, die
unserer Anschauungsform entgegenkommt, und die es uns erlaubt, die Gesamtästhetik
eines Gesichtfeldes auf der bildlichen Oberfläche neu aufzubauen
und wiederum zu zerstückeln.
Da solche objektiven Farbkörper sowohl dem Aussehen phantastischer
als auch wirklicher Gegenstände entsprechen können, sind Bilder
fähig beide dieser Welten zu zeigen. An Herstellungsverlauf und -mitteln
liegt es, und muss darum von einem Fall zum nächsten entschieden
werden, wie die bildliche Darstellung sich zu unserer wirklichen Umgebung
verhält. Ist sie aus purer Phantasie oder aus der konkreten Beobachtung
eines Künstlers entstanden? Ist es eine Kameraaufnahme, die uns einen
Blick in die Vergangenheit gestattet, oder eine graphische Animation?
Diese und noch mehr Möglichkeiten sind zu beachten; sie alle ergeben
das gesamte Darstellungs- und Referenzvermögen der im Bild vorhandenen
Farbkörper.
Der Vorteil der hier entwickelten Auffassung besteht darin, dass diese
bildliche Ähnlichkeit auf keiner direkten Ähnlichkeit zwischen
den Farben des Bildes und denen der Dinge beruht. Die Rede ist von einer
Ähnlichkeit zwischen Bild und Gesichtsfeld, die sich bei der Betrachtung
verschachteln und so ein objektives Gesichtsfeld erzeugen. Das ist vorzuziehen,
denn mir scheint gerade die Behauptung einer solchen unmittelbaren Ähnlichkeit,
oder die völligen Leugnung jeder Ähnlichkeit, als der wesentliche
Grund, weshalb so viele Theorien vom Bild scheitern. Aus der Leugnung
folgte die erstaunlich kontraintuitive Vorstellung einer unergründlichen
Codeablesung, die uns unmerklich „erzählt“, was im Bild
zu sehen ist. Dagegen hat man vernünftigerweise innerhalb der sogennanten
„realistischen“ Theorien des Bildes eine direkte Verbindung
zum Realen behauptet. Ein Bild sollte hiernach visuellen Eigenschaften
der Wirklichkeit ähnlich sein, wodurch die dargestellte Situation
im Bild wiedererkennbar werde. Das Problem ist nun, dass das Bild dann
einer Illusion gliche und eine Ähnlichkeit aufweisen müsste,
wie wir sie eher bei Puppen und Skulpturen finden. Ohne die Feststellung
eines spezifisch bildlichen Prinzips der Ähnlichkeit ist dieser Zugang
in ein Laufrad geraten, für das Unterschiede zwischen Film, Photographie
und Malerei voreilig zur Streitfrage erhoben wurden. Denn ohne die allgemeine
Bestimmung der ästhetischen Wirkungsweise von Bildern lässt
sich kaum eine Theorie der spezifischen Bildtypen aufbauen. 3
In der oben durchgeführten Analyse hoffe ich diesem allgemeinen Prinzip
näher gekommen zu sein.
Die Farben im Bild zeigen demnach wie bei jedem anderen Ding dessen Oberfläche,
verwirklichen aber darüber hinaus die ästhetische Möglichkeit
eines objektiven Gesichtsfelds, worin mehr oder weniger vollendete Ähnlichkeitsbeziehungen
zu Farbkörpern, nicht zu Dingen, zu sehen sind. Da wir uns bei der
Betrachtung der Wirklichkeit ebenso der Farbkörper bedienen, sind
sie uns innig vertraut; sie weisen uns unschwer auf entsprechende Dinge
hin und erlauben es, Abstandsverhältnisse einzuschätzen. Da
dieser Hinweis durch Ähnlichkeitsbeziehungen stattfindet, gleicht
er also nicht dem der Sprache. Da er aber auch keine direkte oder unmittelbare
Ähnlichkeit herstellt, wie die einer Wachsfigur zum dargestellten
Menschen oder wie die Illusionen eines Traums, sollte er auch nicht als
Täuschung bestimmt werden. Der Hinweis folgt dem Prinzip des Bildes,
d.h. er kommt durch unsere Fähigkeit zustande, an einer Oberfläche
ein Gesichtsfeld sehen zu können.
Hier ist also weder von Lesbarkeit noch von Täuschung die Rede, sondern
von der geordneten ästhetischen Bereicherung einer Oberfläche,
die damit eine weitere visuelle Auffassung erlaubt. So erscheint ein Bild,
das mit seinem selbständigen Gesichtspunkt und seinen eigenen Orientierungsverhältnissen
eben einer erneuten visuellen Erschließung bedarf und sich dadurch
auch deutlich von der Erscheinung der wirklichen Dinge abhebt.
Teil II. Das Bildverständnis
- nachvollzogen am Beispiel eines bewegten Bildes
Weitere Theoriebildungen, sofern sie sich mit
den Sinnbezügen eines Bildes befassen, müssten in der oben ausgeführten
ästhetischen Darlegung Orientierung finden.
Die wesentlichste Konsequenz der oben vorgestellten Analyse ist, dass
die Frage: „Wie verstehen wir Bilder?“ eigentlich nach unserem
Verständnis für bestimmte Bezugsmöglichkeiten der dargestellten
Farbkörper fragt. Das ist wichtig, denn es heisst, dass das Verstehen
und Beobachten von Körpern und Geschehnissen in einem Bild zunächst
nicht in einer regelgeleiteten Verteilung von Bedeutungsinhalten auf geheime
Bildzeichen besteht. Das Verständnis ergibt sich lediglich aus der
Überlegung und Vergegenwärtigung der in der Bildwelt implizierten
Ursachen, Konsequenzen und Handlungsmotive. Unser gewöhnliches Situationsverständnis
entfaltet sich demnach auf der Basis der perzeptuellen Auffassung und
Zergliederung des Bildes. Es wäre also falsch, die sprachliche Bewusstseinstätigkeit
zu privilegieren, da wir bei der Beobachtung von Bildern noch über
die inneren „sprechenden“ Überlegungen hinaus eine Reihe
weiterer Erwartungen, Erinnerungen, praktischer Intuitionen, Wertungen
und Sympathien finden, die alle teilhaben am Verstehen des Gesehenen.
Wenn wir nun alle uns zur Verfügung stehenden Mittel und Tätigkeiten
der Erkenntnis ausnutzen, um den Sinnbeziehungen im Bild gerechtzuwerden,
wird eine systematische Theorie unseres Bildverständnisses schwer
vorstellbar, und man ahnt, daß dies alles in einer wenig erbaulichen
Rede vom Entgleiten der „präverbalen Intuitionen“ gegenüber
„der Logik“ enden könnte. Stattdessen will ich die Perspektive
einer handlungstheoretischen Deskription unseres Bilverständnisses
aufzeigen. Denn obwohl die Sinnbeziehungen sehr verschiedenartig sind,
und obwohl sie uns zudem auf verschiedenste Weise bewusst werden, erhalten
die dadurch erfassten Eigenschaftsverhältnisse und Situationen dank
des Zusammenhangs ihrer Konsequenzen, Ursachen und Motivationen doch eine
ziemlich feste Form.
Wir können also versuchen, unser Bildverständnis aus der gewöhnlichen
Aufassung und Ausführung bestimmter Handlungen abzuleiten. In einer
Art „Logik der Situation“ könnte es gelingen, die Vorraussetzungen
für unsere Aneignung von Bildern und Bilderfolgen zu beschreiben.
In der Absicht allgemeines hervorzuheben verfolgen wir also zuerst bewusstseinsanalytisch
einen eigenen Handlungsverlauf, um dann Ähnlichkeiten und Besonderheiten
im Verstehen bildlich dargestellter Situationen festlegen zu können.
Handlungstheoretische Skizze
Nehmen wir ein Beispiel: Wir befinden uns
im Wohnzimmer und werden von Müdigkeit befallen. Wir bewegen uns
deshalb in die Küche, um dort Kaffee zu machen. Wir finden die nötigen
Gegenstände in Schränken und Schubladen: Bohnen, Filter, Kessel,
Tasse und so weiter. Das kochende Wasser vom Kessel wird über die
Bohnen gegossen, danach nehmen wir Kanne und Tasse mit ins Wohnzimmer.
Der Kaffee erfrischt, und die Sache ist jetzt so, wie wir sie haben wollten.
In diesem Fall beginnt unsere Handlung mit dem Eintritt eines Gefühls.
Und weil uns dieses Gefühl nicht passt, entsteht ein Bedürfnis.
Unsere Gefühle werden aber nicht, wie Farben, als Anwesenheit von
selbständigen Dingen gedeutet. Sie sind sinnvoll in Bezug auf unser
Wohlbefinden. Das unangenehme Gefühl verbindet sich so in der Regel
mit einer Absicht, und wird dadurch sozusagen „verstanden“.
Wir stellen uns eine oder mehrere Änderungen vor, die unsere Lage
verbessern würden. Wir könnten ins Bett gehen oder das Fernsehen
anschalten und so weiter, aber indem der Gedanke ans Kaffeetrinken den
anderen vorgezogen wird, ändert sich unser Befinden. Jetzt ist ein
Motiv und eine Bewegungsbereitschaft lebendig geworden.
In dieser Spannung zwischen Sachlage und beabsichtigter Besserung liegt
eine Aufgabe, deren Lösung im Überlegen und Ausführen einer
Handlung zu finden ist. Die Überlegungen entfalten sich durch unsere
praktische Aufmerksamkeit, die sich auf die unmittelbaren Umstände
einstellt. Die Umgebung ist uns nicht als reine Ansammlung von Dingen
gegenwärtig, sondern ergibt sich so als eine Verteilung von Mitteln,
Hindernissen und Gleichgültigkeiten, die sich je nach verschiedenen
Absichten richten. Darüberhinaus beziehen wir gerne schon im voraus
die Folgen einer Handlung und gewisse Rücksichten auf unsere Mitmenschen
und ihre Reaktionen in unsere Überlegungen mit ein. In Gedanken laufen
wir den Weg zwischen der jetzigen Lage und der möglichen Besserung
hin und her. Diese Art zu denken lässt sich im Normalfall als ein
„wenn ... dann ...“ ausdrücken, womit eine Konsequenz
oder Verursachung bezeichnet sein soll, etwa „wenn zuwenig Bohnen
drin sind, dann wird der Kaffee zu dünn“. Hinzu kommt eine
Mittel-Zweck-Beziehung, die man als „ ... wird von ... zum ... gebraucht“
notieren könnte, z.B. „der Kessel wird von mir zum Wasserkochen
gebraucht“. Diese Beziehung beruht auf dem Wissen des Akteurs oder
seinen Erfahrungen mit bestimmten Verursachungsverhältnissen und
hat sein unmittelbares Gegenstück in der Bezugnahme auf Gegenstände
oder andere Akteure, die der Ausführung entweder im Wege stehen oder
sie gefährden. Im ersten Fall können wir von einem Hindernis
sprechen, im zweiten droht zudem eine Verschlechterung unserer Lage. Durch
diese praktische Aufmerksamkeit werden die Dinge unserer Umgebung nicht
nur angeschaut, sondern in verschiedenartige Beziehungen zueinander und
zu möglichen Tätigkeiten gebracht. Die Küche, die sich
im Sinnleeren befand, als wir noch im Wohnzimmer saßen, wird also
durch Absicht und mit einem Leitfaden aus Gefühlen und Gedanken zu
einem Netzwerk sinnvoller Verbindungen. 4
Das Interessante an dem beschriebenen Bündel von Befindlichkeiten,
Sinnerfassung und Handlungsvollzug ist nun, dass dieses Bündel offenbar
nicht nur den Leitfaden unseres eigenen Verhaltens ausmacht, sondern zudem
ein Grundschema unserer Erkenntnis im Allgemeinen zu sein scheint. Ein
Schema, das unsere Erfasunng vom Sinn jedweden Dings und Ereignisses in
unserer Umwelt bedingt, auch die der bildlich dargestellten. Man könnte
als vorläufige Bezeichnung für diese Art Umwelterschliessung
von einer Interessenperspektive sprechen. Damit wäre auf eine bestimmte
Deutung der sichtbaren Umgebung hingewiesen, die auf Mittel, Hindernisse
und Verursachungsverhältnisse abzielt, und diese wiederum auf mich
selbst oder das Verhalten anderer Akteure in ihrer Umwelt zurückführt.
Um zu zeigen, wie die erwähnten Sinnbeziehungen enstehen und erfasst
werden, wähle ich ein Beispiel aus der frühen Filmgeschichte:
„Der begossene Rasensprenger“ (»L'Arroseur arrosé«)
von den Brüdern Lumière (1895).
Situationslogische Analyse von „Der
begossene Rasensprenger“
Am Anfang steht ein Gärtner mit einem Schlauch in der Hand, der Wasserstrahl
ergießt sich auf einige Pflanzen. Hieraus ergibt sich unmittelbar
eine Mittel-Zweck-Beziehung zwischen den im Bild gesehenen Körpern:
„Der Schlauch und das Wasser werden vom Gärtner zum Wässern
der Pflanzen gebraucht.“ Diese Beziehung verbindet verschiedene
Teile der bildlichen Umgebung miteinander, und gilt uns als Grund der
Bewegung und Lage der dargestellten Farbkörper und legt gleichzeitig
das Interesse des Gärtners fest. Eine solche Festlegung beruht natürlich
auf Erfahrungen, oder jedenfalls auf in Erfahrungen gegründeten Annahmen,
aber wir sollten hervorheben, dass das nur den Umfang der Spezifikation
bestimmt, nicht ihren Typ. Hat man noch nie ein Schlauch gesehen, oder
einen Garten gewässert, dann heisst das nicht, dass man überhaupt
nichts versteht. Es heisst bloss, dass die Verbindungen zwischen den verschiedenen
Teilen und Bewegungen im Bild unbestimmter erscheinen. Sie können
bis zu der ganz allgemeinen Bezugsform reichen und immer noch der bildlichen
Umgebung einen Sinn geben, also etwa „das Ding da wird von ihm zu
irgendetwas gebraucht“. Selbst wenn man die Szene falsch versteht
und annimmt, dass der Gärtner eigentlich die Pflanzen vergiften will,
hat man immer noch irgendeine Variante der beschriebenen Handlungsbezügen
angenommen, und zwar einen Bezug, der sich formal gesehen nicht wesentlich
von der wahrscheinlicheren Deutung unterscheidet.
Jetzt schleicht sich ein Junge ins Bild hinein und tritt heimlich auf
den Schlauch. Damit ergibt sich eine neue Interessenperspektive in derselben
Situation. Der Junge weiss auch von der oben beschriebenen Mittel-Zweck-Verbindung,
und er kennt die Folgen seiner Handlung. Der Gärtner wird, grob gesagt,
vom Kind zum Necken gebraucht. Der Junge will sich sozusagen über
die Unwissenheit und den Ärger des Gärtners freuen. Necken gehört
zu einer bestimmten Gruppe von Handlungsvorgängen, für die gilt,
dass die angestrebte Verbesserung bei einem Akteur eine Verschlechterung
bei einem anderen bedeutet. Solche Handlungen setzen Konflikte, weil die
jeweilige Absichten der Akteure sich gegenseitig ausschliessen. Streit
und schließlich eine Entscheidung sind zu erwarten, und solche Handlungen
erhalten dadurch ein Spannungsmoment, dessen Kraft sich als unerschöpfliche
Quelle dramatischer Unterhaltung bewährt. Der Gärtner schüttelt
nun den Schlauch und sieht hinein. Es ärgert ihn, dass ein Hindernis
aufgetreten ist, und er hat noch nicht erkannt, dass sein Ärger und
seine Unwissenheit zugleich anderswo Vergnügen schaffen. Der Ärger
ist sozusagen nicht bloss eine Folge des Hindernisses, sondern aus der
Sicht des Kindes eben der Zweck. Der Junge lässt das Wasser in dem
Moment, als der Gärtner in den Schlauch sieht, wieder fliessen, und
fügt so dem Gärtner weitere Unannehmlichkeiten zu. Überrascht
und verwirrt sieht der sich um, und jetzt entdeckt er, wie er als Mittel
zur Schadenfreude benutzt wurde. Aber da der Junge jetzt nicht mehr durch
die Unwissenheit des Gärtners geschützt wird, folgt eine Konfrontation.
Und da der Gärtner stärker ist, kann er nun die Süsse der
Rache verfolgen. Sich zu rächen gehört genau wie Necken zur
oben genannten Gruppe von Handlungen, und der Geschehensverlauf erfährt
folglich einen „Umschlag“ im Opfer-Täter-Verhältnis,
das auf Mittel-Zweck- Beziehungen basiert. So wird der Konflikt entschieden
und die darin enthaltende Spannung entladen.
Ich hoffe, dass aus dieser Beschreibung der Handlungszusammenhänge
in „Der begossene Rasensprenger“ etwas deutlicher geworden
ist, wie bildliche Gegenstände und Akteure durch Erschliessung ihrer
impliziten Handlungszusammenhänge sinnvoll werden. Es scheint darum
möglich, unser Verständnis der unmittelbar erscheinenden Lage
und der Ereignisse im Bild auf Grundlage solcher handlungstheoretischer
Erwägungen nachzuvollziehen und theoretisch zu rekonstruieren.
Als der Gärtner das Kind erwischt und
es mit sich zurückschleppt, gibt es aber etwas an seinen Bewegungen,
das über die Verbindungen zur Umwelt hinausreicht. Er schleppt es
nicht nur dahin, um es zu schlagen; er scheint es auch noch darauf abgesehen
zu haben, dass er und das Kind wieder im Vordergrund des Bildes stehen.
Dadurch werden wir auf die Kamera als Bestandteil des Ereignisses aufmerksam.
Da der Gärtner sich darüber deutliche Sorgen macht, können
auch wir nicht mehr übersehen, dass er sich schon die ganze Zeit
über des Geschehens als einer Aufnahmesituation bewusst war. Diese
Beziehung bestätigt, was wir vielleicht schon vermutet haben, nämlich
dass er uns zuvor getäuscht hatte, der Kamera wegen. In der dargestellten
Situation als Aufnahmesituation finden wir also eine neue Schicht von
Zusammenhängen, die unser Bildverständnis beeinflusst. Das Bild
wird nicht als ein geschlossenes Ganzes aufgefasst, sondern eher als das
sichtbare Ergebnis eines umfassenderen Vorbereitungs- und Herstellungsverlaufs,
der seine eigenen Handlungszusammenhänge zum Ganzen beiträgt.
Da schon Kinder Bilder nicht als natürliche Vorkommnisse betrachten,
sollten wir hier kein besonderes „Metabewusstsein für das Medium“
annehmen, das Privileg medienerfahrener Erwachsenen wäre.
Diese Bezugnahme auf Entstehungsweise und Herstellung ist für jeden
Bildtyp verschieden. Bei Gemälden z. B. sehen wir in den Farben des
Bildes „Pinselstriche“, die uns auf die Befindlichkeit eines
Künstlers verweisen können, wodurch z. B. das Bild eines Stuhls
über die unmittelbaren Handlungszusammenhängen hinaus als „aggressiv“,
„mühselig“, „langweilig“ usw. erscheinen
kann. Wie ein Gebrauchsgegenstand auf die vorausgegangene Herstellungsweise
und die damit verbundenen Ausführungen und Absichten hinweist, scheint
unsere Wahrnehmung von Bildern also fortlaufend Rückschluss auf den
vorausgegangenen Prozess der Kreativität, im wertfreien Sinne gemeint,
zu enthalten.
Denken wir endlich darüber nach, warum
der Rasensprenger eigentlich begossen wurde, zeigt sich eine letzte Ebene
in unserem Bildverständnis. Den Grund finden wir nämlich weder
im Schlauch, noch bei dem Kind oder der Kamera. Er liegt eher in der Gefühlsänderung
eines erkennenden Zuschauers, denn die Brüder Lumière dachten
wohl, dass wir und sie gemeinsam dazu neigen, so etwas lustig zu finden.
In der Vorstellung von der letztlichen Wirkung der Bildfolge findet sich
also auch ihr erster Entstehungsgrund. Der Grund liegt in uns als empfänglichen
Zuschauern, und hiermit kommt eine ganze Schicht von eigenen Interessen
und Gefühlen, die unsere Wahrnehmung und Erkenntnis bedingen und
begleiten, zum Vorschein. Und obwohl diese Schicht selten Thema der bewussten
Überlegungen beim Betrachten sind, da wir uns dabei hauptsächlich
intentional mit Bildwelt und Kreativität befassen, beeinflussen sie
ständig unser Denken und rufen Vorlieben und Abneigungen gegenüber
dem erkannten Geschehen auf. Da unsere Bildbetrachtung nun in der Regel
keine Arbeit ist, sondern auf ein Erlebnis abzielt, sollte diese Ebene
der Gemütsbewegung nicht als „nebensächlich“ missverstanden
werden. Denn hier finden sich schließlich nicht nur ab und zu emotionale
Reaktionen, sondern entscheidende Voraussetzungen zur Nachvollziehung
der Handlungsmotive und Empathie, und zudem unser Urteil darüber,
ob das Werk als solches gut oder schlecht sei.
Schluss
Zusammenfassend lässt sich das Bild, und unsere Beobachtung dessen,
durch ein Wahrnehmungsprinzip und drei Schichten der Sinnerfassung begreifen.
Das besondere Prinzip, dem die Ähnlichkeit eines Bildes mit unserem
Gesichtfeld unterliegt, ermöglicht, dass wir Farbkörper auf
einer vorhandenen Oberfläche erkennen können. Diese Farbkörper
eröffnen durch intellektive und emotionale Tätigkeiten des Bewusstseins
entsprechende situationslogische Beziehungen, die sich in die drei erwähnten
Schichten einteilen lassen: Erstens die Situation im Bild, wie sie sich
unmittelbar anhand der besprochenen Vorgänge, Handlungen, Mittel,
Hindernisse usw. ereignet. Zweitens die Schicht der Zusammenhänge,
die dem Bild und der dargestellte Lage als etwas Geschaffenem zukommen.
Und schließlich unsere eigene Zuschauersituation, wie sie von Gefühlserlebnissen
und Erkenntnisinteressen geleitet wird. Diese Schichten sind trotz ihrer
Unterschiedlichkeit situationslogisch gleichartig, und hierin besteht
eine Gemeinsamkeit zwischen Absender, Medium und Empfänger, die das
Bildverständnis – phänomenologisch gesehen – ermöglicht.
Bei einer sorgfältigeren Beschreibung unserer psychischen Tätigkeiten,
bzw. des Vorstellens, des Urteilens und des Fühlens, 5
mit zunehmender Rücksicht auf die perzeptuelle Eigentümlichkeit
der bildlichen Darstellung, würden also die Theorie von Sinn und
Erscheinung des Bildes auf einem gemeinsamen Boden stehen, so dass das
eine nicht mehr das Problem des anderen ausmacht.
Fussnoten
- Die ausführlichste
phänomenologische Analyse der Beobachtung wirklicher Gegenstände
findet sich in Edmund Husserls Ding und Raum - Vorlesungen 1907, Hrg.
U. Claesges. Husserliana Band XVI, Den Haag: Martinus Nijhof, 1973.
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- Der Begriff „Farbkörper“
dient im folgenden als Bezeichnung für das Objekt unsere Gesichtswahrnehmung.
Über die Richtung psychischer Tätigkeiten auf ein Objekt
vgl. Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Band
I, S. 124. Hrg. O. Kraus, Hamburg: Meiner, 1874/1974. (zurück)
- Für einen Eindruck
von den Schwierigkeiten, die mit der Idee einer Ähnlichkeit zwischen
Bild und Ding verbunden sind, siehe z.B. Gregory Currie, Image and
mind: Film, Philosophy and Cognitive Science, S.82. New York: Cambridge
University Press, 1995. (zurück)
- Diese Zusammenhänge sind
schon von Aristoteles hervorgehoben vgl. z.B. Über die Seele
Teil III Kap 7-10, S 431a - 434a. Innerhalb der phänomenologischen
Bewegung sind sie vertieft und eigensinnig dargelegt. Siehe insb.
Edmund Husserls Die Konstitution der Geistigen Welt, S. 59ff. Hrg.
M. Sommer, Hamburg: Meiner, 1984 und Martin Heideggers Sein und Zeit
§§ 15-18 Tübingen: Niemeyer, 1927/1993. und ferner
Werner Haensels nur wenig beachtete Strukturanalyse des Wollens II
kap. 2.Abschnitt, Leipzig: Johann Ambrosius Barth, 1939. (zurück)
- Eine Unterteilung, die
besonders Franz Brentano verteidigt hat. Vgl. Franz Brentano, Von
der Klassifikation der psychischen Phänomene 2. Kap. §§1-3.
Hrg. O. Kraus Hamburg: Meiner 1911/1925. (zurück)
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