Hans J. Wulff

Ankündigen, Versprechen, Verlangen=Machen: Funktionen von Programmverbindungen im Fernsehen



Die Untersuchung der Fernsehkommunikation nicht aus der Perspektive des Werks zu betreiben, sondern vielmehr aus den pragmatisch-alltäglichen Bedingungen, in denen sie stattfindet: Das ist in der Fernsehtheorie schon mehrfach gefordert worden und wohl auch ein Reflex auf den deutlichsten Unterschied zwischen Film und Fernsehen. Für John Ellis z.B. ist die Zerstreutheit und Distanziertheit des Zuschauers das entscheidende Kriterium, das Kino und Fernsehen voneinander unterscheidet und das dazu geführt hat, daß das Fernsehen andere Formen der Repräsentation und der Adressierung ausgebildet hat als der Film. Der Zuschauer, so Ellis, ist im Fernsehen konzeptualisiert als jemand, der zwar den Apparat angeschaltet hat, ihm aber nur geringe Aufmerksamkeit widmet. Darum muß Segment für Segment das Interesse und die Zuwendung des Zuschauers immer wieder neu aktiviert werden. Nach Ellis sind es vor allem drei Formen, in denen sich dieses Zuschauerkonzept in der Formenwelt des Fernsehens umsetzt:
(1) im Aufwand, den jeder Sender betreibt, um sich selbst bekannt zu machen;
(2) in der Häufigkeit und Intensität der direkten Adressierung;
(3) und schließlich in der großen Bedeutung, die dem Ton in den Fernsehformen zukommt - "sound draws the attention of the look when it has wandered away" (Ellis 1982, 162).

In ähnlicher Art und Weise plädiert auch Charlotte Brunsdon dafür, den Zuschauerbezug als eine Komponente der textuellen Form des Fernsehens einzubeziehen. Nach ihrer Auffassung geht es darum, die Kontinuität (continuousness) von Fernsehen mit der Erfahrung des Zuschauens (experience of viewing) zu integrieren. Zentral ist dann

the deployment of the notion of "mode of address", which allows us to specify, at a formal level, the way in which the television text is always constructed as continuously there for someone. The differing identities posed in these interpellations (child, citizen, hobby enthusiast, consumer, etc.) and the overlapping and contradictory ways in which we are called to watch form one of many sites for further research. An insistence on the analytic importance of these moments - continuousness and mode of address - gives some access to the inscription of television's institutional basis in its formal operations (1990, 62; Hervorhebung im Original).

Genau diese besonderen Bedingungen der Textualität, die zwischen der Abgelenktheit des Zuschauers, der Diskontinuität des Programms und einer Vielfalt semiotisch-signifikativer Modalitäten vermitteln muß, korrespondieren mit einer Vielzahl von Techniken, mit denen der Bezug zum Zuschauer aufrecht erhalten wird. Ich habe an anderer Stelle auf die ungemein zentrale Rolle des phatischen Funktionsmoments in der Fernsehkommunikation hingewiesen: Aufrechterhaltung des baren Kontaktes plus Pflege der in Kommunikationsprozessen immer mitlaufenden Vergemeinschaftung spielen in allen Fernsehformaten eine ausgesprochen zentrale Rolle (Wulff (1993). Ich will dem hier nicht weiter nachgehen, sondern einen anderen Faden aufnehmen, eine andere Frage als Ausgangspunkt nehmen.

Ansagen & Ansager

Ein zunächst rein formales Problem: Wenn der Fernsehtext resp. das Programm ein diskontinuierlicher Text ist, dessen Segmente nach Genre, Modus, Fiktionalitätsaspekt etc. unterschiedlich sind, muß danach gefragt werden, mit welchen Mitteln dieser heterogene, kollektionierte, diverse Teiltexte zusammenfügende "Supertext" arbeitet.

Ein solches Mittel, trotz der Heterogenität der Einzelsendungen eine einheitliche oder zusammenhängende Kommunikation zwischen Fernsehen und Zuschauer herzustellen, bilden die Müllerschen "Programmverbindungen". Hören wir dazu Eggo Müller, der die Ansage als "Herzstück der Programmverbindungen" bezeichnet:

Der Ansager oder die Ansagerin hatte die Zuschauer wie ein Konferencier bei einer Bühnenschau, einer Revue oder einer Zirkusveranstaltung durch das Programm zu führen (Müller 1990, 5).

Der Ansager bildet danach eine Art Mittlerfigur, durch die der Zuschauer dem Programm nicht unmittelbar und unvermittelt gegenüber gesetzt ist, sondern durch die das Programm in ein individuelles kommunikatives Handlungsspiel zwischen Sender und Zuschauer integriert ist.

Es geht tatsächlich aber nicht nur um eine soziale, sondern auch um eine textuelle Funktion, was deutlich wird, wenn man sich klarmacht, daß der Ansager in Konkurrenz zu "Pausenfüller, Trailer, Hinweistafel oder Videoclip" (Schumacher 1992, 194) steht und als personale Rolle in manchen Fernsehsystemen gar nicht oder nur als Ausnahmefall ausentwickelt worden ist. Und es handelt sich schließlich um eine Rolle, die eng an das patriarchalische, dezent autoritäre Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in der BRD gekoppelt ist. Sie tritt mit dem sich ausdifferenzierenden und vermehrenden Programmangebot immer weiter in den Hintergrund. Aus Gründen der Zuschauerbindung geht es darum, die "Pausen" zwischen Sendungen rigoros zu verkürzen und einen Rhythmus einzuschlagen, der für das "Ausklingen" von Sendungen ebenso wenig Raum bietet wie für die Anmoderation. Der These folgend gehört das Zurücktreten der Ansagerrolle zu einem Strukturwandel des Fernsehens, in dem die Übergänge zwischen Programmsegmenten verkürzt und nicht mehr ausgespielt werden. Gleichwohl bleiben die Aufgaben, die der Ansager zu erfüllen hatte, bestehen: Programm anzukündigen, hinzuweisen, Interpretationshilfen zu geben, dem Sender ein Gesicht zu verleihen, den Zuschauer in kommunikatives Geschehen zu verwickeln. Sie werden nur nicht mehr in seiner Person gebündelt, sondern auf verschiedene textuelle Formate verteilt.

Supertext

Zum Fernsehen gehört die Ansage von Beginn an dazu. Schon in der Phase der Fernsehstuben in den dreißiger Jahren stand Ursula Patschke als erste deutsche Fernsehansagerin im Rampenlicht (1934). In Siegfried Zielinskis Buch "Audiovisionen" findet sich eine kleine Beschreibung dessen, was sie tat:

Die erste Fernsehansagerin, die sich der Gewalt dieser Aufnahmetechnik aussetzte, war die junge Schauspielerin Ursula Patschke, eine biedere, gut in den Zeitgeist passende Persönlichkeit, die neben den Ansagen auch schon einmal ein Gedicht vortragen, eine kurze selbstverfaßte Szene spielen oder sich mit ihrem Hund unterhalten durfte (1989, 155-156).

Aus der Beschreibung wird deutlich, daß die Ansage im deutschen Fernsehsystem schon damals als ein eigenes dramaturgisches Niveau, als eine eigene Schicht der Repräsentation inszeniert worden ist, die nicht nur funktional über die Ankündigungsfunktion definiert war, sondern in einem eigenen Szenario sich ereignete. Die Ansage bildet so eine Rahmensituation bzw. Rahmenhandlung, die alle anderen Texte des Fernsehens einbettet.

Alle? Bettet die Rahmenhandlung "Ansage" auch die Werbesendungen ein? Wohl nicht.

Mit der Ansage scheint so etwas möglich zu werden wie ein textuell-kommunikativer Rahmen, der eine zwar nur formale, aber immerhin personal kontinuierliche Klammer für die primären Fernsehtexte bilden könnte. Daß das Fernsehen versuchen muß, einen "loyal flow of audience attention" (Browne 1984, 180) auf sich zu binden, die Aufmerksamkeit des Publikums trotz der Heterogenität des Programms aufrecht zu erhalten, und daß es dazu "Strategien der Kontinuisierung" einsetzt, ist mehrfach angemerkt worden (ebd.). Im Ansager manifestierte sich dann eine Art von Erzählerfigur, in der Ansage eine Erzählsituation - und die Analogien zu solchen literarischen Formen wie "1001 Nacht" oder "Das Decamerone" läge auf der Hand - ein diskontinuierlicher Strauß von Einzeltexten wird gebündelt und in Zusammenhang gebracht durch eine verklammernde Rahmensituation. Der Wechsel der Adressierungsformen belegt einen solchen Bruch in zwei verschiedene Situationen: Dritte-Person in diegetisch geschlossenen Welten, Erste-Person in der Ansage (so Browne 1984, 180).

Diese Überlegungen lassen sich texttheoretisch recht gut interpretieren. Es gehört zur Eigenart von Punktuierungen, zu denen ja auch die Ansagen gehören, daß sie zwei Leistungen gleichzeitig erbringen: Sie trennen zwei nebeneinanderstehende Stücke ebenso, wie sie sie verbinden. Metz hatte schon darauf hingewiesen, daß die filmische Punktuierung nicht mit der sprachlichen in zu engem Zusammenhang gesehen werden dürfe - es handele sich um eine Makro-Punktuierung, die auf der Ebene der makrotextuellen Gliederungen (vom Typ "Sequenz" oder "Syntagma") operiere und nicht im mikrotextuellen Feld zwischen Einstellungen. Programmverbindungen operieren noch eine Stufe höher, wenn man in der Vorstellung einer Hierarchie von strukturellen Ebenen bleiben will, und koordinieren und punktuieren ganze Texte im Supertext des Fernsehens. Die Elemente, die durch sie in Verbindung gebracht sind, sind Texte oder sogar Textfolgen (was mit der Programmstruktur des Fernsehens zusammenhängt).

Es gehört zu den Besonderheiten des Fernsehens, daß es
(1) ein supertextuelles Stratum zu geben scheint, das über die Grenzen von Einzeltexten hinweggreift und Einzeltexte in ein eigenes Format integriert;
(2) das Supertextuelle ist auffallend oft realisiert als eine eigene Situation, in der ein Moderator-Ansager sich über das Programm äußert, sich unmittelbar mit dem Zuschauer unterhält usw.;
(3) es gehört zu den Effekten der Superstruktur, daß die Einzeltexte miteinander verbunden werden, so daß nicht nur eine Demarkation der Subtexte, sondern zugleich eine Kohäsion und Konnexion derselben gestiftet wird.

Vorverweise, Ankündigungen, Trailer

Die Moderation der jeweils folgenden Sendungen ist die wichtigste Aufgabe des Ansagers. Die Ankündigung kommender Sendungen ist die Kerntechnik, mit der Zuschauer an das Programm gebunden werden. Hier steht der Ansager in einem Kreis von Textformen, die einen gemeinsamen Mitteilungsmodus haben. Eine Phänomenologie oder Klassifikation der Mittel und Sorten des Ankündigens fällt schwer. In einem ersten Aufriß könnte man die folgenden Unterscheidungen machen:
(1) die unmittelbaren Programmansagen, worunter auch Übersprechungen von Sendungsteilen - insbesondere Abspännen - fallen,
(2) Teiltexte von eigentlichen Sendungen - darunter Titelsequenzen und Ausschnitte,
(3) Schrifttafeln, auf denen kommendes Programm annonciert wird, gegebenenfalls unterstützt durch ein Voice-Over,
(4) Trailer von jeder Art, mit deren Hilfe auf zukünftige Sendungen hingewiesen wird,
(5) Produktionsberichte zu Sendungen,
(6) Interviews mit Darstellern und Regisseuren.
Zum Ankündigungsmodus zählen auch manche genrespezifischen Üblichkeiten wie ein vorangestelltes "Inhaltsverzeichnis" - das "Nachrichtentelegramm", das als Überblick die Nachrichtensendung eröffnet [gegebenenfalls vom Haupttext abgesetzt durch einen kleinen Werbeblock], zählt dazu ebenso wie der Anmoderation einer Magazinsendung, in der am Beginn ein Überblick über die einzelnen Beiträge gegeben wird. (Am Rande: Für den Zuschauer sind derartige Inhaltsangaben unter Umständen handlungsleitend; wenn z.B. im ZDF-Sportstudio zunächst Tennis gezeigt werden soll, bevor die Bundesliga-Berichte kommen, denen die eigentliche Aufmerksamkeit gilt, kann der Zuschauer zunächst noch wegschalten.)

Eine eigene Gattung sind die Teaser (aus dem Englischen, ursprünglich: Necker, Quälgeist, Plagegeist), mit denen auf kommende Programme hingewiesen wird. Generisch sind sie verwandt mit den Trailern, den Vorankündigungen für Filme, die im Werbeblock der Kinoaufführung plaziert sind. (Zur Ankündigung von Filmen werden im Fernsehen tatsächlich oft Kino-Trailer eingesetzt.) Das Konzept des Teasers wird in der Fernsehpraxis mehrdeutig verwendet: Zum einen bezeichnet der Begriff eigenständige Vorankündigungstexte auf nachfolgende Programme eines Senders; sie sind in der Regel im Rahmen des Werbeblocks (oft am Ende) plaziert; zum anderen bezeichnet man damit auch einen Programmhinweis des Moderators vor dem Werbeblock, mit dem er auf das Programm nach dem Werbeblock verweist ("Nach der Pause...") (vgl. dazu Cameron/Schleuder/Thorson 1991).

Die verschiedenen Arten von Teasern bilden eine programminterne Verweisungsstruktur aus, mittels dessen das Programm als ein "Ankündigungsfeld" aufgebaut wird. Man hat es mit einem zeitlichen Zeigfeld zu tun, wollte man Bühlers Rede von den Deiktika auf das Fernsehen übertragen. Das ist zum einen interessant, weil darüber das Fernsehen natürlich auch als ein Gegenstand des Besprechens (oder Zeigens) konstituiert wird, zum anderen, weil der Jetztpunkt dieses Feldes einen gemeinsamen Aktualpunkt von Programm- und Zuschauerzeit hervorbringt. Die Tätigkeit des Verweisens (eigentlich sollte man angemessener vom "teasing" sprechen) ist eng mit den widersprüchlichen Tendenzen des Fernsehens zwischen Stereotypisierung und zeitlichem Fluß verwoben, enthält doch das "teasing" eine Kommunikatorenrolle, die sich in einem gemeinsamen Bezugsraum mit dem Zuschauer befindet.

Der Verweisungscharakter läßt sich aber nicht nur an Teasern und Trailern festmachen, sondern findet sich auch in zahlreichen anderen Manifestationsweisen. So werden im Werbeblock zunehmend Kurzspots (sogenannte reminder) eingesetzt, mit denen eine Werbebotschaft in Kurzform wiederholt wird; sie dienen dazu, einen Markennamen oder einen Werbespot stärker im Bewußtsein des Zuschauers zu verankern. Reminder sind textuelle Anaphora, Rückverbindungen auf schon Präsentiertes. Reminderartige Formen finden sich auch im Abspann von Sendungen, wenn schnappschußartig Schlüsselbilder der vorhergehenden Sendung das Gesehene noch einmal rekapitulieren. Ähnlich entsteht der Supertext des Fernsehens als Verweisungsfeld, wenn mit Quellenangaben auf vergangene Sendungen (des gleichen oder eines anderen Senders) Bezug genommen wird. Sogar Gastauftritte von Showmastern und anderen Fernsehpersonae lassen sich als Indizes interpretieren, durch die ein Bezug auf televisionäre Sendungsumgebungen hergestellt wird - sei es, daß global auf andere Sendungen verwiesen wird, sei es, daß das Personensystem des Fernsehens instantiiert wird, sei es, daß konkret auf kommende Sendungen hingewiesen wird.

Zu diesen programminternen (Vor-)Verweisungen kommen Ankündigungen in allen möglichen Begleitmedien (darunter insbesondere die Programmzeitschriften, aber auch Videotext, Vorauskritiken in Tageszeitungen usw.). Der Zuschauer bewegt sich in einem rezeptiven Feld, das nicht nur den primären Text enthält, dem die eigentliche Aufmerksamkeit gilt, sondern auch ein kompliziertes Gefüge von Paratexten umfaßt, durch das in verschiedenster Art und Weise der primäre Text angezeigt wird.

Wenn es nun die Funktion von Ankündigungstexten ist, den Zuschauer auf den eigentlichen Text neugierig zu machen, ihm "Appetit" zu verursachen, ihm eine Vorfreude zu bereiten, kurz: den Konsum des Primärtextes einzuleiten, dann geschieht diese Einstimmung vor allem dadurch, daß die
(1) Phantasie des Rezipienten angeregt wird,
(2) daß ihm die Interessantheit, Wichtigkeit oder eine andere Qualität der kommenden Sendung versichert wird,
(3) daß ihm mögliche Gratifikationen genannt werden.
Das wichtigste und interessanteste Mittel, mit dem der Zuschauer durch Ankündigungstexte an das Programm gebunden wird, ist die Anregung seiner Phantasie. Um auf kommende Lust vorzubereiten, scheint es nötig zu sein, die Phantasietätigkeit ins Spiel zu bringen.

Die Trailer spielen in diesem Funktionskreis natürlich die größte Rolle. Ihre Funktion ist nicht, den Inhalt eines expandierteren Primärtextes zu repräsentieren, sie sind keine Summaries. Vielmehr bilden sie ein fragmentiertes Ausgangsmaterial für Phantasieprozesse, in denen der Rezipient nicht nur den möglicher- oder wahrscheinlicherweise durch den Trailer annoncierten Primärtext in gewissen Eigenschaften (Spannungsgrad, Genre, Modus der Aktion, Stilistik usw.) berechnet-entwirft, sondern vor allem ausgreift auf die Art und die Intensität der eigenen Rezeption. Der Trailer organisiert so den Vorgriff auf eine Rezeptionslust, die erst noch realisiert werden muß. Insofern ist die Orientierung der Vorfreude weniger eine Vorwegnahme einer Rezeptionsgratifikation als vielmehr eine probeweise Kalkulation der Möglichkeit der Lust.

Diese Überlegungen haben zwei Konsequenzen:
(1) Die erste betrifft eine permanente Aktivität des Zuschauers, die durch das Fernsehprogramm organisiert und gesteuert wird und die man "Hintergrundbewußtsein" nennen kann (dazu genauer Wulff 1995) - in der Rezeption von Fernsehen wird der gesamte Angebotsraum als ein Feld möglicher Zuwendungen aufgebaut, das in allen Einzelrezeptionen ein hintergründiges Wissen über den Status der im Vordergrund rezipierten Sendung abgibt. Das "Ankündigungsfeld", das in den Ansagen und Teasern als eine dem Supertext des Fernsehens zugehörige eigene textuelle Struktur ausgebildet ist, korrespondiert so einer Bewußtseinsstruktur (die wiederum eine Bedingung des Umschaltenverhaltens bildet; vgl. dazu Wulff 1994, 1995). Die Ankündigungsfunktion hat sich zunächst in dem prägnanten parasozialen Gegenüber der Ansagen manifestiert; heute tritt dieses ("ältere") Format zurück, das Ankündigen wird als teasing vollzogen, und es entwickeln sich diverse Strategien (darunter auch einige eigenständige Kleingattungen), in denen die Ankündigung in anderer Form vollzogen werden kann. Diese Veränderungen, die hier nur angedeutet werden können, lassen sich durchaus lesen als Hinweise auf eine sich langsam herausbildende "televisionäre Kompetenz", das sei hier aber nur am Rande festgehalten.
(2) Die zweite Implikation aus dem Gesagten betrifft ein möglicherweise fernsehspezifisches Verhältnis zwischen Lusterwartung und Lusterfüllung, das ich Versprechen und Verlangen nennen werde.

Versprechen und Verlangen

Der Teilnahmemodus von Zuschauern am Fernsehen ist in einer ganz eigenartigen Situation zu beschreiben: Denn die primäre Rezeption einer Sendung wird immer wieder unterbrochen, aufgebrochen, zurückgenommen durch Sekundärtexte und Ankündigungstexte, die die Kalkulation einer kommenden Lust mit der Lust an der gegenwärtigen Rezeption mischen. Vielleicht läßt sich manche Programmenttäuschung damit erklären, daß der Vorgriff auf kommende Rezeptionslust durch die Rezeptionslust selbst nicht erfüllt wird. Die psychoanalytisch orientierte amerikanische Wissenschaftlerin Beverle Houston bezog sich wohl auf diesen eigenartigen Modus zwischen Lusterwartung und Lustgewinn, als sie über das gap of desire schrieb:

Its function is more directly linked to consumption, which it promotes by shattering the imaginary possibility over and over, repeatedly reopening the gap of desire. Television sets up an obsessive acting-out of desire, which the spectator tries to assuage by consuming the television text itself in its unique promise. Of television we say: I always want it as I never had it (Houston 1984, 184).

In der Beziehung zwischen promise und desire, Versprechen und Verlangen sieht sie ein elementares kommunikatives Verhältnis, das für die Fernsehrezeption grundlegend ist. Die Verweigerung der Erfüllung des Verlangens, das zugleich versprochen wurde, ist nach Houston charakteristisch für Fernsehen und resultiert schon aus der Struktur der Unterbrochenheit:

it offers an extraordinarily strong promise of endless flow, which is repeatedly blocked for the spectator by interruption in the delivery of the text (1984, 184).

Für Houston ist das Mißverhältnis von Versprechen und Verlangen Grundlage für ein Verlangen nach immer mehr Fernsehkonsum: Weil sich die Erfüllung des Verlangens nicht einstellen will, obwohl immer noch und immer wieder Lustgewinn versprochen wird, gerät der Zuschauer in die Dilemmasituation des Süchtigen und kann vom Fernsehen nicht mehr lassen. Wollte man ihre These kommunikations-ethisch wenden, würde Fernsehkonsum je nach Bezugspunkt auf einer interaktiven Anomalie, auf einer Art von Betrug oder auch auf einem sado-masochistischen Kommunikations- und Beziehungstyps beruhen: Der Kommunikator verspricht etwas, das er dem Zuschauer dann doch verweigert.

Ich will der Argumentation Houstons hier nicht folgen, denke aber, daß die Zentralität, die sie dem "Verlangen" gibt, mit Bezug auf die Vielfalt der Ankündigungstexte auch textsemiotisch gelesen werden kann - so daß der kataphorische Ausgriff auf folgende Sendungen zu einem der wichtigsten Mittel wird, die den Fernsehtext konstituieren und die das Fernsehen in einem beständigen reflexiv-metatextuellen Modus als eigenes Orientierungs- und Wissensfeld und als Feld möglichen rezeptiven Handelns konturieren.

Ich möchte die Überlegung hier abbrechen. Zum Ausklang möchte ich einen Text von Alexander Kulpok kolportieren, in dem der Gedanke, daß das Verbleiben von Zuschauern vor dem Fernsehen mit einem Verhältnis von Verlangen und Versprechen zu tun habe, fortgesponnen und auf die Tätigkeit des zapping übertragen wurde:

Es gibt [...] ein Fernsehzeitalter vor und eines nach Erfindung der Fernbedienung. Sie war wohl in erster Linie zur Förderung des mündigen Bildschirmbürgers gedacht, als erwiesen war, daß die Fernsehnachrichten sowieso kaum jemand (richtig) versteht, daß Unterhaltung durchaus nicht unterhaltsam und Entspannung sehr aufreibend sein kann. Heute genügt der sanfte Druck auf die Taste zur Flucht - und die Wanderungsbewegungen sind enorm.
Eingeweihte sagen voraus, daß die nächste Revolution im Fernsehen dann einsetzen wird, wenn alle Welt endlich weiß, daß Sehbeteiligung sich gar nicht messen läßt. Denn obwohl Abend für Abend Millionen, mit ihren Fernbedienungen bestückt, vor den flimmernden Apparaten sitzen - es wird überhaupt nicht ferngesehen! Es wird nur gesucht.

Die Suche als Motiv von Fernsehrezeption: Und das Umschalten als Manifestation einer rezeptiven Bewegung, die das Fernsehen als Ankündigungsfeld sowohl voraussetzt wie seine Geltung hervorbringt ...





Literatur
Browne, Nick (1984) The political economy of the television (super)text. In: Quarterly Review of Film Studies 9,3, S. 174-182.

Brunsdon, Charlotte (1990) Television: Aesthetics and audiences. In: Logics of television. Essays in cultural criticism. Ed. by Patricia Mellencamp. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press / London: BFI Publishing, S. 59-72.

Cameron, Clen T. / Schleuder, Joan / Thorson, Esther (1991) The role of news teasers in processing TV news and commercials. In: Communication Research 5, 1991, S. 667-685.

Ellis, John (1992) Visible fictions. Cinema: television: video. Rev. ed. London/New York: Routledge.

Houston, Beverle (1984) Viewing television: The metapsychology of endless consumption. In: Quarterly Review of Film Studies 9,3, S. 183-195.

Müller, Eggo (1990) Programmverbindungen. Gebrauchsanweisungen des Fernsehens im Fernsehen. 3. Film- und Fernsehwissenschaftliches Kolloquium / Marburg '90. Akten. Hrsg. v. Jürgen Felix & Heinz-B. Heller. Münster: MAkS Publikationen, S. 119-124 (Film- und Fernsehwissenschaftliche Arbeiten.).

Schumacher, Heidemarie (1992) Moderation im Magazin. In: Fernsehen. Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz. Hrsg. v. Knut Hickethier. Frankfurt [...]: Lang, S. 193-207 (Grundlagen. 6.).

Wulff, Hans J. (1993) Phatische Gemeinschaft / Phatische Funktion: Leitkonzepte einer pragmatischen Theorie des Fernsehens. In: Montage/AV 2,1, S. 142-163.

--- (1994) Fußball, Kohl und Callas-Arien oder Wie man sich umschaltenderweise in Kultur einübt. Zu einer Aneignungsform des Fernsehens. In: Universitas 49, S. 890-897.

--- (1995) Rezeption im Warenhaus: Anmerkungen zur Rezeptionsästhetik des Umschaltens. In: Ästhetik und Kommunikation 24,88, S. 61-66.

Zielinski, Siegfried (1989) Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte. Reinbek: Rowohlt (Kulturen & Ideen.)/(Rowohlts Enzyklopädie.).



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