Jerome Philipp Schäfer

Kommerz und Populärkultur

Beispielanalysen zum progressiven Potential von Werbefilmen

Abstract: Führten in den 1920er-Jahren Avantgarde-Regisseure wie Hans Richter und Oskar Fischinger Werbespots zur künstlerischen Blüte, erstickte der Nationalsozialismus diese durch die für ihn spezifische Instrumentalisierung im Keim – bei den Alliierten war es vordergründig die Vermischung mit Kriegspropaganda. Das Genre konnte sich an die sechzig Jahre lang nicht von diesem Trauma erholen und entwickelte sich – trotz Wirtschaftswunder und TV – zum kreativlosen 30-Sekünder, der als notwendiges Übel betrachtet wurde. Allein der Musikclip, in den 1980er-Jahren eingeführt und dank MTV und VIVA bis heute institutionalisiert, schaffte den Sprung zum Kunstwerk mit inhaltlich wie ästhetisch progressivem Anspruch. Währenddessen gelang es der Werbeindustrie auch durch den Einsatz von Star-Regisseuren wie David Lynch, Oliver Stone oder Volker Schlöndorff nicht, die anhaltende Ablehnung des Publikums gegenüber dem konventionellen Werbefilm zu überwinden. Doch manchmal wandeln sich Dinge – und in diesem Fall war es eine gleichermaßen rasante wie spektakuläre Entwicklung. Wer zurzeit durch das Internet streift, der kann nur staunen: dort gibt es viel frequentierte Websites wie „Cartoonland“ und „Clipland“, wo aus dem Fernsehen zusammengetragene Werbespots beste Vorabend-Unterhaltung bieten. Sogar eine eigene „Rezensionskultur“ hat sich herausgebildet, was zahlreiche Foren wie „Werbeblogger“ bestätigen, da hier interessierte Laien mit Marketing- und Werbeexperten lebhaft diskutieren, um durch konstruktive Kritik für eine „bessere“ Werbung zu sorgen. Die dogmatische Ablehnung des Werbefilms als einer „minderwertigen“, weil nicht an der Kunst orientierten Gattung, ist damit überflüssig geworden, und es ist an der Zeit zu fragen, ob Werbespots nicht doch wie Musikclips in der Lage sind, kommerzielle Intention und populärkulturelle Lesart zu verbinden, d.h. zwischen eindeutiger Werbeabsicht und populärer Unterhaltung zu oszillieren. Wenn weiter unten nun die Werbespots von „Bonus.net“(1) und „AXA TwinStar“ (2) als exemplum ex negativo analysiert werden und daran anschließend jener positive von „Peugeot“ (3) zum Modell 207, dann soll nicht nur demonstriert werden, dass Werbespots überhaupt in der Lage sind, populär zu wirken und zu erscheinen, sondern es soll auch gefragt werden, welche Verfahren am ehesten geeignet sind, dies zu erreichen bzw. wodurch dies nicht erreicht wird. Hierfür wird die Kombination verschiedener Disziplinen notwendig sein – namentlich Cultural Studies, Filmanalyse und Marketing.

Einleitung

Woody Allen, Slapstick-Komiker und Konzentrat zynisch-intellektueller Lebensweisheit, soll einmal gesagt haben: „Ich hasse die Wirklichkeit, aber es ist der einzige Ort, an dem man ein gutes Steak bekommt“ (4). Gleichermaßen hedonistisch wie pragmatisch formuliert, verweist diese Aussage auf einen grundlegenden Widerspruch innerhalb der Populärkultur, nämlich auf jene Diskrepanz zwischen intellektuellem Habitus und materiellem Konsum, wie er für einen großen Teil der Menschen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts – und mittlerweile nicht nur in der westlichen Hemisphäre – prägend ist. Stand die Soziologie nach dem zweiten Weltkrieg – besonders die Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno – derartigen Phänomenen skeptisch gegenüber, versuchten Wissenschaftler der Cultural Studies wie John Fiske im Hinblick auf die Interpretation von Populärkultur aus der Not eine Tugend zu machen: die Populärkultur als Kultur der „ Unterdrückten“ könne ihre Ressourcen nicht selber produzieren, weshalb sie auf jene des ökonomischen power bloc (Konzerne etc.) zurückgreifen müsse, obwohl sie gegen eben diesen power bloc mikropolitischen Widerstand leiste. Nach Fiske konstruiert die Populärkultur ihre Identität also über jene materiellen Güter, die zur Stärkung des „herrschenden Systems“ beitragen, wobei diese Fremdkörper nur durch eine semiotische Wandlung Eingang in die Populärkultur finden können. (5)

Die Werbung nimmt im Rahmen der Populärkultur eine dezidierte Sonderstellung ein. Sie reichert materielle „Texte“ – ihrem Sinngehalt nach beworbene Produkte – mit Bedeutung an und nimmt gleichzeitig für sich in Anspruch, eigenständiger Text zu sein. Wenn in den letzten Jahren zunehmend Elemente des Musikclips Eingang in die Form der Werbefilme gefunden haben, liegt dies in einer neuen Rezipienten-Generation begründet, die mit MTV und VIVA groß geworden ist und den Musikclip zur Kunst statt zum Marketing rechnet. Werden Werbefilme dagegen meist als reines Instrument zur Absatzsteigerung verstanden, das durch Bekanntmachen die Selektion in Top oder Flop überhaupt erst ermöglichen soll, werden sie von vielen Rezipienten als „notwendiges Übel“ betrachtet, das in vom Hauptprogramm getrennten Blöcken „ghettoisiert“ (6) gezeigt wird.

Die Werbeindustrie selbst versteht viele ihrer Produkte als Kunst und versucht dies zu beweisen und zu manifestieren, indem sie auf dem International Advertising Festival in Cannes alljährlich ihre besten Werbefilme mit den Cannes Lions prämiert. Dabei ist nicht zu übersehen, dass nicht nur die Filme selbst, sondern auch ihre Botschaften wohlwollend von einem großen Publikum aufgenommen werden. Dass die individuelle Meinungsbildung weniger rigide ist als die öffentliche, vermuten nicht nur Marketing-Experten (7), auch TV-Formate wie die Sendung „WWW – Die Witzigsten Werbespots der Welt“ (8) und Online-Portale wie „Clipland“ legen nahe, dass Werbespots nicht allein „Manipulation“ und „Volksverdummung“ sind, sondern es auch Werbefilme gibt, die populärkulturelle Lesarten ermöglichen.

Grundlagen

Sind Begriffe wie „Populärkultur“ und „Werbung“ fest in der Alltagssprache verankert und werden sie oft zu ökonomisch, kulturell und gesellschaftlich orientierten Debatten herangezogen, ist ihre exakte Eingrenzung im wissenschaftlichen Rahmen problematisch. Um nicht unnötig in fachspezifische Diskussionen verwickelt zu werden, müssen jene Bedeutungen, Ausprägungen und Beziehungen von „Werbung“ und „Populärkultur“ herausgestellt werden, die als Grundlage einer Analyse notwendig sind und helfen, Missverständnisse zu vermeiden.

Die Populärkultur

Entstand die Populärkultur erst im 20. Jahrhundert durch eine Reihe gesellschaftlicher wie technischer Entwicklungen und hat sie die Volkskultur in vielen Lebensbereichen abgelöst, besteht die eigentliche Neuerung darin, dass sich der „moderne Mensch“ mehr über seine Individualität als seine Zugehörigkeit zu einer „Klasse“ definiert. Weil für sie der „Kapitalismus“ die Triebfeder dieser Entwicklung war, schöpften die marxistische Linke und besonders die Frankfurter Schule den Verdacht, es handele sich hier um „Vermassung“ und „Entindividualisierung“. Adorno und Horkheimer kritisierten 1944 in dem Kapitel Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug (9) ihrer Dialektik der Aufklärung das neue System auf pathetische Weise und legten die Vermutung nahe, dass der Mensch zum willenlosen Konsumenten mutiert, der sich „seinem vorweg durch Indizien bestimmten ‚level’ gemäß verhalten und nach der Kategorie des Massenprodukts greifen [soll], die für seinen Typ fabriziert ist“ (10). Allerdings darf diese „apokalyptische“ Sichtweise nicht überinterpretiert werden, ist sie doch in einem spezifischen historischen Kontext verankert: Als die beiden Theoretiker 1944 die „Dialektik der Aufklärung“ schrieben, waren Deutschland noch von nationalsozialistischer und die Vereinigten Staaten von Kriegspropaganda überflutet – was für die beiden Exilanten ein Schock gewesen sein mag. So wenig das Werk der beiden Soziologen aus dem heutigen Kulturverständnis wegzudenken ist – ihr „kritischer“ Ansatz kann nicht für eine unvoreingenommene Analyse populärkultureller „Texte“ fruchtbar gemacht werden.

Eine für unsere Zwecke sinnvolle Annäherung an Populärkultur und Werbung ermöglichen dagegen die Cultural Studies angelsächsischer Prägung. Im Centre for Contemporary Cultural Studies Birminghams wurden jene Grundlagen einer „positiven“ und „integrativen“ Sichtweise gelegt, wie John Fiske als Theoretiker der „zweiten Generation“ sie weiterführte und schließlich synthetisierte. Auch wenn die Fiske’schen Gedankengänge einige Angriffspunkte zulassen, etwa „dass nicht jeder Akt der Konsumation subversiv ist und als Ausdruck der Unterdrückten gefeiert werden muss, dass Populärkultur häufig rassistisch und frauenfeindlich ist“ (11), berühren diese zur Diskussion stehenden Punkte nicht direkt jenes begriffliche Handwerkszeug, das für eine Analyse notwendig ist und dessen wichtigste Thesen sich aus dem Aufsatz Politik. Die Linke und der Populismus und dem Buch Lesarten des Populären in aller Kürze zusammenfassen lassen:

Demnach wird Populärkultur immer von jenen Gruppen geschaffen, die im Kapitalismus zu den Unterdrückten, jedoch nicht den Geschlagenen gehören und die versuchen, ihren vom power bloc (12) eingeengten Bewegungsspielraum durch mikropolitischen – wenn auch nicht revolutionären – Widerstand auszubauen, was primär über die ihnen eigenen pleasures (13) und Bedeutungszuschreibungen geschehen soll. Weil Populärkultur aber die für sie notwendigen Ressourcen nicht selber herstellen kann – ihre Mitglieder verfügen im marxistischen Sinne nicht über die „Produktionsmittel“, ist der Rückgriff auf das Angebot des ökonomischen power bloc unumgänglich und damit eine tief greifende Ambivalenz nicht zu vermeiden: während die Populärkultur auf diese Weise dem Status Quo in die Karten spielt und das System durch Konsum stärkt, nutzt sie dessen Ressourcen in einem oppositionellen Sinne, d.h. leistet sie semiotischen Widerstand, der den Individuen helfen soll, „die Kontrolle über die Bedeutungen in ihrem Leben auszuüben“ (14) . Ein Produkt, das Eingang in die Populärkultur findet, muss demnach eine progressive Lesart ermöglichen, d.h. ein „progressives Potential“ beinhalten, das zu einer Ausweitung des Handlungsspielraumes beitragen kann.

Der Werbespot

Um die Vielfalt der Ressourcen in einer freien bzw. sozialen Marktwirtschaft überblicken zu können, benötigt der potentielle Konsument Informationen, die nicht nur über das Angebot aufklären, sondern auch demonstrieren, welches Produkt mit welcher Bedeutung versehen ist, denn nur so kann Identität über Konsum konstruiert werden. Für eine solche semantische Anreicherung – das Marketing spricht hier meist von „Image“ – sind besonders Werbespots geeignet. Bezeichnen Kritiker diese oft als „Manipulation“, darf nicht übersehen werden, dass Werbung Bedeutungen nur anbieten, jedoch nicht festlegen kann. Welches „Image“ letztlich dominiert, fällt in den „Kontroll-Bereich“ der Populärkultur. Definiert die einschlägige Literatur Werbespots als einen Kurz-Film mit Reklamecharakter, der „einen Impuls [...] zum Wünschen“ auslösen soll, wobei „die psychologische und ästhetische Wirkung ausschlaggebend ist“ (15), heißt es auch, dass unter Reklame „eine Beeinflussung der Psyche des Verbrauchers“ (16) zu verstehen ist – und „Beeinflussung“ kann gelingen oder nicht. Damit sind Werbespots ein für die Populärkultur interessanter Bereich: „Viel [...] ist ein Kampf um Bedeutungen, und populäre Texte können ihre Popularität nur dadurch absichern, dass sie sich zu einladenden Terrains für diesen Kampf machen [...]. Deshalb werden populäre Texte im Spannungsfeld zwischen Kräften der Abschließung (oder Herrschaft) und der Offenheit (oder Popularität) strukturiert.“ (17)

Will ein Werbespot als „Text“ nicht einfach abgelehnt werden, sondern als populäre „Kampf-Arena“ funktionieren – was den Vorteil einer Übertragung auf das beworbene Produkt mit sich bringt, ist es notwendig, eine „progressive Lesart“ in ihm anzulegen. Doch diese „progressive Lesart“ bedeutet immer einen kalkulierten „Selbstanschlag“ des power bloc, da hier zur mikropolitischen Ausweitung des Handlungsspielraums der Rezipienten beigetragen wird. Ist dies die Ursache der Beliebtheit vieler Werbespots, darf dies nicht überinterpretiert werden – schließlich handelt es sich um ein Zugeständnis an die Populärkultur, das hinsichtlich Stärkung und Schwächung genau kalkuliert ist.

Formen des Werbespots – Affinitäten zum Musikclip

Ob ein Werbespot populär ausgerichtet ist, hängt maßgeblich davon ab, in welches Schema er sich einordnen lässt: während sich unterhaltsame Produkt-Stories, bei denen der Firmenname erst am Ende des Films auftaucht, größerer Beliebtheit erfreuen, gelten jene Spots, die als Leitmotiv die reine Produktpräsentation haben, als im besten Falle informativ, meist jedoch als „nervtötend“. (18)

Die so genannten DRTV (19)-Spots gelten als Extremform der filmischen Produktpräsentation. Sie vermitteln die blanke Produktinformation und fordern durch das Einblenden von Telefonnummern etc. zum Kauf auf, und all dies ohne Handlung – der fehlende Interpretationsspielraum macht sie unpopulär.

Populäre Werbespots dagegen bieten eine Bedeutung an, mit der der Rezipient produktiv umgehen kann, d.h. er kann sie annehmen oder ablehnen, aber auch verändern. Dass dabei Statussymbole wie Automobile und Kleidung eher populär beworben werden, da sie innerhalb der Populärkultur Identität stiften helfen, liegt in der Natur der Sache, während es absurd erschiene, einen Toiletten-Reiniger zum Schauplatz des „Kampfes um Bedeutungen“ zu machen.

Dabei greifen populäre Werbespots häufig auf Musikclips als einer künstlerischen und fest in der Populärkultur verankerten Form der Werbung zurück – dass dies funktioniert, zeigt sich unter anderem darin, dass die Frage, welcher Song in welchem Spot zu hören war, zu den FAQ der offiziellen Peugeot-Homepage zählt (20), es eigene Internetseiten wie www.werbesongs.tv gibt und die Band „The Dandy Warhols“ durch einen Vodafone-Spot den Durchbruch in Europa schaffte.

Außerdem liegt die Anlehnung an die Form des Musikclips aus praktischen Gründen nahe: weil Ausstrahlungs-Zeit im Fernsehen knapp bemessen ist, müssen Musikclip wie Werbespot ihre Erzählung auf ein Minimum komprimieren, d.h. sich auf das filmische Vorwissen des Rezipienten stützen, um wie beim Musikclip in wenigen Minuten und beim Werbespot in höchstens 20 Sekunden überhaupt eine Geschichte erzählen bzw. eine Botschaft herüberbringen zu können. Dadurch wird dem Zuschauer nicht nur eine aktive Rolle zugewiesen, die fehlende Geschlossenheit bietet auch offene Räume zur Interpretation – Eigenschaften, die populäres Potential besitzen. (21)

Werbespots ohne progressives Potential

Die Zahl populärer Werbefilme ist – verglichen mit der Gesamtproduktion der Werbeindustrie – verschwindend gering, doch auch wenn die nicht populären Varianten meist als „langweilig“ empfunden werden, gibt die Unterscheidung in „populär“ bzw. „unpopulär“ keine Auskunft über die Güte eines Spots. Schließlich soll nicht jedes Produkt als Zielgruppe nur Mitglieder der Populärkultur ansprechen. Verglichen mit den Filmen von Peugeot schöpfen die Spots von Bonus.net und AXA TwinStar deshalb nicht alle Möglichkeiten aus, was allerdings auch nicht beabsichtigt ist: Bonus.net expliziert seine ökonomische Intention, weil der Rezipient sich nur rational für eine Dienstleistung wie das Ermöglichen von Massen-Rabatten entscheiden kann. Und AXA macht das, was typisch für Anbieter von Altersvorsorgen, Versicherungen, Bausparverträgen etc. ist: die eigene Unpopularität wird in eine Verheißung von individueller Freiheit umgemünzt, wobei die Ambivalenz sichtbar bleibt, d.h. unpopuläre Verfahren nicht ausgespart werden, weil der Bezug zum „Konservativen“ und „Spießigen“ bewahrt werden soll, um Tugenden wie „Sicherheit“ und „Vertrauen“ hervorzuheben.


Bonus.net – Die antipopuläre Werbung

Der Werbefilm von Bonus.net enthält alle Elemente eines DRTV-Spots (22), wie er aus einem Lehrbuch des Marketing stammen könnte: der unbewegliche, also „solide“ Rahmen ist in den vertrauenswürdigen und gleichzeitig „frisch-modernen“ Farben Blau und Orange gehalten, wobei fortwährend Telefonnummer, Internet-Adresse sowie Informationen zu Testzeit und Kosten eines Anrufs eingeblendet bleiben. Innerhalb des Rahmens finden sich textlastige Informationen zum Angebot, deren wichtigste Schlagwörter durch rudimentäre „Grafik-Effekte“ und die Betonung des Sprechers hervorgehoben werden. Illustriert wird dies durch Einzelbilder von „begehrenswerten“ Objekten wie Geld und einem Auto sowie von Frauen, deren Gestik und Mimik ausdrücken sollen, dass ein Leben ohne Bonus.net viele Nachteile mit sich brächte.

Während die Dienstleistung – also das Sichern von Massen-Rabatten beim Einkauf – nach Fiske wohl progressiv interpretiert werden kann, weil der ökonomische power bloc so weniger Geld für seine bereitgestellten Ressourcen erhält, sind die Verfahren des Werbespots unpopulär und können zu dem gerechnet werden, was Fiske den „Predigerrealismus“ nennt. Hier wird „dem in kulturellen Zusammenhängen Handelnden die Arbeit [abgenommen] [...], indem [...] den Rezipienten erklärt [wird], was bedeutsam ist und was nicht“ (23). Der Werbespot von Bonus.net veranschaulicht dies deutlich, wie ein einziger Ausschnitt mit der Aussage „Garantierte 30 % Rabatt!“ (24) demonstriert:

Die Kombination und Auswahl der Wörter, Zahlen und Zeichen basiert auf Prägnantem und Ökonomischem, es wird kein Wort zu viel verwendet, es bleiben keine Fragen offen. Die andauernd wiederkehrenden Zahlen und das Rabattzeichen vom Typ „30 %“ unterstützen dies, weil sie als „harte Fakten“ gelten. Das Ausrufezeichen taucht im gesamten Werbespot achtmal auf und unterstützt den Eindruck des „Predigens“ von Vorteilen, die sich der Zuschauer nicht entgehen lassen sollte. Die graphische wie akustische Hervorhebung der „30 %“ lässt außerdem keine Zweifel daran, wo der Schwerpunkt der Information liegen soll.

Der Zuschauer – sicher und behütet durch den Werbespot geleitet – kennt nun die Vorteile, die der Bonusclub zu bieten hat, auch wenn ihm eine progressive Lesart vorenthalten wurde.


AXA TwinStar – Die demokratisch-populistische Werbung

Zwar stimmt der Werbespot von AXA TwinStar nicht den allzu offensichtlichen Prediger-Ton des vorherigen Beispiels an, doch wird auch hier dem Rezipienten das Interpretieren abgenommen – wenn auch auf „elegantere“ Art:

Die ersten dreizehn Einstellungen (25) thematisieren die semantische Trennung zwischen „Erwachsensein“ und „Kindsein“. Während die bildliche Darstellung kindlich-unbeschwerter Handlungen wie das Leicht-bekleidet-durch-den-Regen-rennen oder das Vom-Turm-in-den-See-springen den Unverfügbarkeitsbereich der Kindheit demonstriert, spielen akustisch die Worte „Sorgen“ und „Angst“ sowie die Umschreibung des Auf-sich-allein-gestellt-seins auf die Folgen der Unterdrückung durch den power bloc an – den Bereich des Erwachsenen.

Scheint der Werbespot bis zu diesem Punkt „progressives Potential“ zu besitzen, weist eine Besonderheit auf die Kehrtwende im zweiten Teil hin: in drei der Einstellungen ist die Mutter zu sehen, die dem Kind trotz des „Unfugs“, das es anstellt, bereitwillig hilft, während der Vater in nur einer Einstellung zu sehen ist und bezeichnenderweise keine aktive Funktion hat, denn das Kind zieht die Schachtel aus der Pyramide, während der Erziehungsberechtigte mit anderen Dingen beschäftigt ist, also nicht aufpasst und sich nicht um das Kind kümmert. Der Vater, in der deutschen Sprache durch „Vaterland“ mit dem Staat konnotiert, ist nicht präsent, während die Mutter eine „aufpassende“ Funktion hat und nur dann eingreift, sollte es zu „gefährlich“ werden. Der power bloc scheint sich hier in zwei semantische Bereiche aufzuteilen: den „strengen und doch seine Bürger vernachlässigenden“ Staat und die „mütterlich liebende“, private Altersvorsorge.

Im zweiten Teil (26) nun findet die Grenzüberschreitung vom semantischen Bereich des „Erwachsenseins“ zu dem des „Kindseins“ statt, indem Erwachsene wie die im ersten Teil gezeigten Kinder handeln. Ob dies für die persönliche Entwicklung progressiv oder eher regressiv interpretiert werden sollte, sei dahingestellt, auf jeden Fall verspricht der Sprecher diesen „Fortschritt“ durch die AXA TwinStar Altersvorsorge, also eine Integration in den power bloc, der vorgibt, keiner zu sein, weil er eben nicht der „böse Vater Staat“ (politisch), sondern die „liebende Mutter Altersvorsorge“ (privat, ökonomisch) ist. Damit wird das „Kindsein“ als „progressives Potential“ endgültig zur regressiven Variante: Denn mit „Kind“ ist ebenfalls „Unmündigkeit“ und „fehlende Urteilsfähigkeit“ konnotiert. Freiheit soll durch den Verlust von Verantwortung und Urteilsfähigkeit erkauft werden, denn der Erwachsene verliert seine Unbeschwertheit nicht durch die „Unterdrückung“ selbst, sondern dadurch, dass er in der Lage ist, sie zu erkennen.

Das vermeintliche Potential erweist sich als Aufruf zur Integration in den power bloc, d.h. es handelt sich hier um jenes Verfahren, das Fiske als den „demokratischen Populismus“ bezeichnet, „bei dem die Unterschiede zwischen dem Staat und den diversen sozialen Formationen nicht als Antagonismen, sondern als einander ergänzende Strukturen organisiert und be-griffen werden. [...] Dieser Populismus wird zwar von einem auf sozialer Herrschaft beruhenden System hervorgebracht, zugleich jedoch von ihm absorbiert, so dass dieses System alle Erfahrungen, Vergnügungen und Verhaltensweisen der untergeordneten Strukturen in seinen Kontrollbereich aufnimmt. Schließlich werden die Entmächtigten zu Komplizen des sie entmächtigenden Systems und erteilen ihm, wenngleich möglicherweise unbewusst oder gegen ihren Willen, ihre Zustimmung“ (27).


Peugeot 207 – Werbespot mit progressivem Potential

Anders als zu Zeiten der Avantgarde der 1920er-Jahre hat sich der Dialog zwischen Werbe- und Kunstfilm zu einem Selbstgespräch entwickelt, bei dem Werbeagenturen hinsichtlich der Etablierung von Topoi und Verfahren nicht mehr originell arbeiten, sondern diese aus angrenzenden Genres wie Musikclip und Spielfilm übernehmen – was jedoch nicht bedeuten soll, dass das System als Kombination der Einzelteile konventionalisiert sein muss.

Treffen sich in dem Werbespot zum „Peugeot 207“ zwei Marienkäfer und entwickelt sich zwischen ihnen eine „stürmische“ Beziehung, die in klassischer Hollywood-Manier mit einem Happy End abgeschlossen wird, ermöglicht erst die Kenntnis aller konventionellen Teile die Konstruktion des innovativen „progressiven Potentials“.

Ökonomische Intention und progressives Potential

Wie der Nachspann „Intensiver. Der neue Peugeot 207“ verdeutlicht, soll das Produkt über die Intensität des Fahrgefühls beworben werden. Statt der primär denotativen Variante, die ein lächelnder Autofahrer hätte sein können, wird hier eine allegorische Vorgehensweise gewählt, die ausreichend Interpretationsspielraum für eine progressive Lesart ermöglicht: die Entproblematisierung von Sexualität.

War es in den 1960er-Jahren eine Ausweitung des Handlungsspielraums, das Tabuthema „Sex“ und „Sexualität“ offen auszusprechen, ist diese Materie zum medialen Alltag geworden. Mit der Folge, dass aus der gesellschaftlichen „Verkrampfung“ eine persönliche, individuelle wurde: In diesem Diskurs werden Frauen präsentiert, die sich an makellosen Plakatschönheiten messen und an Bulimie erkranken; Männer werden in Zeitschriften mit Impotenz und Versagensängsten konfrontiert, und die Kirche warnt vor Sittenverfall und AIDS. Diese Liste wäre mit Hunderten dieser Darstellungen fortzusetzen. Das „progressive Potential“ des Werbespots besteht nun darin, dass Widerstand gegen den aufgebauten Druck geleistet wird, indem Sexualität eine Darstellung als von jeglichen Zwängen befreites Vergnügen erfährt, d.h. auf die subjektive Lustebene zurückgeführt wird.


Topoi und Verfahren

Ist die Thematisierung von Sexualität gepaart mit dem Prinzip des Lachens die eigentliche Grundstruktur des Werbefilms, basieren diese Elemente auf einem eng verwobenen System filmischer wie außerfilmischer Topoi und Verfahren.


Musikclip

Die raschen Schnitte, auch eine Folge der knapp bemessenen Erzählzeit, und die plastischen Farben lassen sofort die Assoziation mit einem Musikclip zu. Gleich zu Beginn wird der Eindruck der „Verwandtschaft“ zu diesem Genre verstärkt bzw. erfolgt die entsprechende Anspielung durch die teilweise Abstimmung der Schnitte auf den Rhythmus der Musik (28) wie z.B. von der zweiten zur dritten Einstellung. Ferner wird dieser Effekt durch die temporäre Übereinstimmung von Bild und Musik/Text erzielt. So nähert sich der Marienkäfer in der ersten Einstellung der Kamera, bevor er in Richtung des Automobils abdreht, was vom Sänger mit der Textzeile „Here we go again“ begleitet wird. Zudem dominiert der Refrain „Heart-aches“ den Lied-Text, was in Verbindung mit dem dargestellten Liebesspiel der Käfer gebracht werden kann und muss.

Gebrochen wird diese Darstellung von Anfang an durch die „aktuellen“ und zu dem Geschehen synchronen, von den Marienkäfern verursachten Töne – was in einem Musikclip, der die bildhafte Begleitung eines auf Tonträger überspielten oder gepressten Musikstücks ist, undenkbar wäre. Hier wird zwar die Bedeutung der Musik deutlich, denn der Werbefilm soll durch die akustische Untermalung „jung“ und „fröhlich“ wirken, sie wird aber schon bald in ihre vornehmlich illustrierende Rolle verwiesen.

Eine weitere – naturgemäße – Annäherung zwischen Werbefilm und Musikclip zeigt sich in der bereits angesprochenen narrativen Komprimierung, wobei sich dieser „Makel“ als weniger nachteilig denn förderlich für die Popularität erweist, da der „medienkompetente“ Rezipient sein filmisches Vorwissen nutzt, um die Erzählung selbst zu konstruieren, d.h. die Bedeutungs-Kontrolle ihm selbst obliegt.


Klischee

Auch wenn die Handlung des Werbespots für einen Spielfilm zu einfach gestrickt ist – ein plot ohne plot points, was eher an eine Sequenz denken lässt, handelt es sich hier um die Reduktion einer Love Story auf ihre Grundprinzipien, die vor allem durch Klischees repräsentiert werden. Die Nutzung derart konventionalisierter Verfahren ist in Hollywood beliebt, um Erwartungen zu erzeugen, doch finden diese konventionalisierten Verfahren ebenso aus Gründen des Komprimierens wie des Anspielens Verwendung.

Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist im vorliegenden Werbespot der sich zu Beginn von der Kamera abdrehende Käfer, der den Protagonisten einführt, und der nun die Dame seines Herzens kennen lernt, was in einer typischen „Here’s looking at you, kid“-Einstellung (29) demonstriert wird. Die anschließende Totale mit den Käfern im Profil verkündet die bekannte „Ruhe vor dem Sturm“. Sind Umarmung und Hinabrollen Teil des Vorspiels, verkündet das Wegziehen der Klaue in Nahaufnahme den emotionalen Charakter der Szene – eine Einstellung, die im übertragenen Sinn in keiner Darstellung von Leidenschaft fehlen darf. Das wippende Automobil lässt schon früh auf den sexuellen Akt der Käfer schließen und der obere Teil des Insektenkörpers, der langsam an der beschlagenen Scheibe herabgleitet, indiziert den Höhepunkt der körperlichen Vereinigung. Er ist ebenso konventionalisiert wie die bereits erwähnte Nahaufnahme der Hand/Klaue. Dass am Ende erneut das wippende Automobil zu sehen ist, muss als Nachspiel bzw. abschließende „Refrainwiederholung“ interpretiert werden.

Das Verwenden dieser Klischees bzw. der Konventionen weist neben dem komprimierenden Effekt noch eine weitere Funktion auf: die Marienkäfer als Lachen erzeugende Allegorie lassen das Klischee zur Parodie werden. Ein Verfahren, das in extremer Form aus modernen Beispielen bekannt ist wie in Szenen aus „American Pie“ (30) oder „Scary Movie“ (31), aber auch aus den trash movies eines Russ Meyer (32), dessen vollbusige Plakatschönheiten eine Parodie der Hollywood-Diven sind.


Allegorisierung

Die allegorische Funktion der Marienkäfer innerhalb des Werbespots als Personifikation wird nicht nur durch ihre menschlichen Handlungsweisen (Sexualität statt Fortpflanzung) herausgestellt, sondern auch physisch innerhalb der dargestellten Welt durch das überzeichnete Ursache-Wirkungs-Verhältnis beim Wippen des Automobils und formal in der Art und Weise der Kameraführung durch z.B. einen over-the-shoulder-shot in der zweiten Einstellung oder eine Nahaufnahme der Klaue in der fünften Einstellung.

Dabei entsteht das eigentlich humorvolle Moment nicht allein in der grotesk anmutenden Vermenschlichung von Tieren: es ist vor allem die Tatsache, dass Marienkäfer und nicht etwa Hunde diese allegorische Rolle übernehmen. Denn ist – wie weiter unten gezeigt wird – das Lachen vor allem ein befreiendes Lachen über das Thema „Sexualität“, dann darf der semantische Gehalt von Marienkäfern nicht unterschätzt werden. Schließlich werden diese mit dem „Wonnemonat Mai“ und mit „Liebe“ assoziiert, wobei gerade „Liebe“ ein metaphysisch und religiös geprägter Begriff ist, der im zwischengeschlechtlichen Bereich der „Sünde“ schlechthin als das „Unschuldige“ gegenübersteht. Dadurch nun, dass ausgerechnet Marienkäfer als Repräsentanten der „unschuldigen und unproblematischen“ Liebe die semantische Grenze zum problematisierten Raum der Sexualität überschreiten, werden diese nicht aus dem Paradies verstoßen, sondern konstituieren eine Versöhnung scheinbar gegensätzlicher Bedeutungen.

Diese zielgerichtete Arbeit mit der Semantik von Tieren ist typisch für Allegorisierungen im Rahmen der Populärkultur. Führt die Traditionslinie bis zu den klassischen Fabeln Äsops zurück, fand in den späten 1930er-Jahren durch Comics und Zeichentrickfilme wie „Mickey Mouse“ eine Aktualisierung statt. „Donald Duck“, der 1937 eine eigene Zeichentrick-Reihe bekam, ist hierfür das wohl beste Beispiel (33): es wird die Konnotation „liebenswürdig und vertrottelt“, wie sie Enten zugeschrieben werden kann, mit dem Topos des „Losers“, wie er nach dem Börsencrash 1929 typisch für die amerikanische Kultur der 1930er-Jahre war (z.B. gangster movies), mit dem Ziel kombiniert, das Ansehen des „ewig Unglücklichen“ zu steigern.


Sexualität

Wenn der Werbespot nun auf das Thema „Sexualität“ zurückgreift, so muss dies einerseits – wie weiter oben geschehen – in einen zeitgenössischen Kontext gestellt werden. Andererseits jedoch darf nicht vergessen werden, dass diesem Topos diachronisch gesehen eine längere Tradition vorausgeht.

Erst im 19. Jahrhundert als eigenständiger Begriff konzipiert, wurde Sexualität im „konventionellen“ Film bis in die späten 1950er-Jahre – und zum Teil etwas länger – als Tabu-Thema behandelt. Stellte Alain Resnais’ „Hiroshima mon amour“ (34) eine wichtige filmgeschichtliche Wende dar, die in extremer Form von den folgenden (s)exploitations (35) der 1960er und 1970er begleitet wurde (Russ Meyer gehörte zu deren populärsten Regisseuren) und „progressives Potential“ besaß, ist Sexualität im heutigen Film zur Konvention z.T. mit overkill geworden. Das ermöglicht dem Werbespot zum Peugeot 207 die zum Allgemeingut gewordene Sexualität durch Abstraktion – und der sexuelle Akt bei Marienkäfern ist „abstrakt“, würde ihn doch niemand als „pornographisch“ bezeichnen – auf die subjektive Lustebene zurückzuführen und damit progressiv zu wirken. Mit anderen Worten: der „abstrahierte“ Akt bei den Marienkäfern bietet einen Signifikanten, während es der Rezipient selbst ist, der ihm ein Signifikat verleihen muss, wodurch er jegliche Problematisierung von „außen“ umgehen kann.


Lachen

Der Werbespot zum Peugeot 207 enthält zahlreiche Elemente des Karnevalesken wie u.a. die Verwischung der Grenze zwischen Mensch (Sexualität) und Tier (Fortpflanzung), die groteske Überspitzung (Wippen des Automobils) oder das Uminterpretieren von gültigen Regeln wie z.B. das Wegziehen der Klaue in Nahaufnahme. Besonders interpretationswürdig erscheint hier der Augenblick des Lachens, denn dieses ist selbst schon eine Form des Widerstands.

Michail Bachtin setzte sich in „Rabelais und seine Welt“ mit dem Karneval und der Funktion des Lachens auseinander und stellte fest, dass es sich beim Karneval um das temporäre Konstruieren einer Gegen-Welt handelt, in der Lust und Lachen den Menschen einen Freiraum gegenüber der „Ernsthaftigkeit“ der damals allgegenwärtigen Kirche verschaffen sollten. (36) Obwohl Bachtins Untersuchung auf das Mittelalter zielt, lässt sich dieses Prinzip – setzt man Ökonomie und Politik an die Stelle von Religion – auch auf die Moderne übertragen. Schließlich hat sich an der semantischen Differenz zwischen Staat (ernsthaft) und Individuum (lustbetont) kaum etwas geändert, was Neologismen wie das abschätzig gemeinte „Fun-Gesellschaft“ zweifelsfrei belegen.

Wie durchdacht dieser Werbespot gestaltet ist, zeigt der Umstand, dass der Widerspruch zwischen „Lachen über Sexualität“ (populär orientiertes und lustbetontes Individuum) und „problembewusster Umgang mit Sexualität“ (power bloc und Gesellschaft) im Werbespot selbst gespiegelt wird: während in der zwölften Einstellung eine junge, leger gekleidete Frau lachend auf das wippende Automobil zeigt, versucht ein pikiert wirkender Herr im Anzug in das Innere zu blicken, um das Mysterium zu erkunden.


Zusammenfassung

Wie sich aus der Analyse der Werbespots ergeben hat, ist es durchaus möglich, die Kategorien „kommerzielle Intention“ und „populärkulturelle Unterhaltung“ auch außerhalb von MTV zu einer Einheit zu verbinden. Enthält der Werbefilm zum Peugeot 207 das für eine breite Popularität notwendige „progressive Potential“, das sich in Interpretationsfreiheit und einer entsprechenden Themen-Wahl äußert, sind jene von AXA und Bonus.net produzierten Spots unpopulär aufgrund ihres dogmatischen Umgangs mit den Rezipienten.

Kultur-Kritiker mögen an dieser Stelle einwenden, dass ein Werbespot wie der von Peugeot nichts anderes als ein Trojanisches Pferd sei, das seinen marketing-strategischen Kern unter einer populärkulturellen Hülle verberge, doch so einsichtig diese Vermutung auf den ersten Blick erscheint, der Vergleich hinkt. Schließlich wäre Werbung ohne sichtbaren Werbegedanken sinnlos – man hätte es dann mit einem Kurzfilm zu tun. Es geht darum, die ökonomischen und populärkulturellen Intentionen in einem eigenständigen „Text“ zu verbinden, der verschiedene Lesarten ermöglicht, so dass die Topoi und Verfahren keineswegs „Schein“ im Sinne des demokratischen Populismus sind, sondern der Populärkultur ermöglichen, produktiv mit ihnen umzugehen.

Auch wenn im Peugeot-Spot die humorvolle Handlung im Vordergrund steht und das beworbene Automobil nur als Schauplatz dient – weshalb der Gedanke mit dem Kurzfilm insofern treffend ist, als der Peugeot 207 innerhalb der dargestellten Welt wie ein Product Placement wirkt, wird diese Zurückhaltung im Nachspann durch Slogan und Produktbezeichnung ausgeglichen. An Trojanische Pferde ist in diesem Zusammenhang gar nicht zu denken, da selbst in Online-Portalen der Nachspann von Werbefilmen nicht herausgeschnitten wird, was dafür spricht, dass User die Explizierung des Werbegedankens als festen Bestandteil des filmischen „Werks“ verstehen.

Wurde in diesem Beitrag stets stillschweigend davon ausgegangen, dass der Rezipient mit dem Adressaten zusammenfällt, bleibt abschließend eine Einschränkung bezüglich des Gesagten vorzunehmen: Es gibt Beispiele, in denen die Vorinterpretation – durch räumliche und zeitliche Distanz neutralisiert – kein Hindernis mehr für den Eingang eines Werkes in die Populärkultur bedeutete, wie z.B. der exploitation film „Reefer Madness“ (37), der in den späten 1930er-Jahren durch die amerikanischen Kinos zirkulierte, um Jugendlichen wie Eltern zu zeigen, welche Folgen der exzessive Konsum von Marihuana haben kann. Stand der Film in seiner Zeit weit außerhalb der Populärkultur, ist er heute zum Kult geworden. Vorinterpretation und Predigerrealismus – für das Publikum der 1930er-Jahre gedacht – gehen beim Rezipienten des Jahres 2006 ins Leere. Ein weiteres – zeitgenössisches – Beispiel sind die in den letzten Jahren produzierten Propagandafilme der US-Army, die bei den Jugendlichen in Europa wegen ihrer martialischen „Ästhetik“, vielen Computerspielen ähnlich, sehr populär sind. Die Botschaft an sich hat in diesen Filmen in erster Linie wenig Bedeutung für die Mehrheit der Jugendlichen, die weder befürchten müssen, sich in einem Kampfeinsatz im Irak wiederzufinden, noch aus dem sozialen Netz ihres Landes verstoßen zu werden, um in der Armee ihre Existenz zu sichern. Wer nicht Adressat ist, kann auch mit vorinterpretierten Texten produktiv umgehen.


Literatur- und Filmverzeichnis

Quellen – Werbefilme

Bonus.net: http://www.pepp-a-spot.de/chartuploads/5994/bonusnet_tvspot.mpg (31.08.2006)

AXA TwinStar : http://www.axa.de/servlet/PB/show/1096039/Das_AXA_Gefuehl_30sec_1.mpeg (31.08.2006)

Peugeot 207: http://www.peugeot.de/entdecken/extras/tvspots/videos/207.mpg (31.08.2006)

Erwähnte Filme

American Pie. Regie: Paul Weitz. USA 1999

Casablanca . Regie: Michael Curtiz. USA 1942

Faster, Pussycat. Kill! Kill! Regie: Russ Meyer. USA 1965

Hiroshima mon amour. Regie: Alain Resnais. Frankreich/Japan 1959

Reefer Madness. Regie: Louis J. Gasnier. USA 1936

Scary Movie. Regie: Keenen Ivory Wayans. USA 2000

Literatur zur Populärkultur

Adorno, Theodor W. u. Horkheimer, Max (1969) „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“, in: Theoder W. Adorno u. Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main: Fischer Verlag.

Fiske (1), John (2003) Lesarten des Populären, übers. v. Christina Lutter u. a., Wien: Löcker (Cultural Studies).

Fiske (2), John (1999) „Politik. Die Linke und der Populismus“, in: Roger Bromley u. Ien Ang (Hg.), Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung, Lüneburg: zu Klampen, 237 – 278.

Sonstiges zur Volks- und Populärkultur

Bachtin, Michail (1995) Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, übers. v. Gabriele Leupold, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

„Chronological History of American Comics“ (o. J.). In: Comic Art. URL: http://www.comic-art.com/history/chronol2.htm (31.08.2006) und http://www.comic-art.com/history/chronol3.htm (31.08.2006)

Literatur zum Werbefilm

Schierl, Thomas (1997) Vom Werbespot zum interaktiven Werbedialog. Über die Veränderungen des Werbefernsehens, Köln: Herbert von Halem Verlag (Forum Neue Medien).

Westbrock, Ingrid (1983) Der Werbefilm. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Genres vom Stummfilm bis zum frühen Ton- und Farbfilm, Hildesheim: Georg Olms Verlag (Studien zur Filmgeschichte).

Sonstiges zu Film- und Filmgeschichte

„David Lynch“ (o. J.). In: Dirk Jasper Filmstarlexikon. URL: http://www.djfl.de/entertainment/stars/d/david_lynch.html (31.08.2006)

Stewart, Bruce (1971) The World of Film. An Introduction to the Cinema, London: Darton, Longman & Todd

Westphal, Anke (01.12.2005) „Gottes Antwort auf Hiob. Dem absolut untadeligen Woody Allen zum 70. Geburtstag“, Berliner Zeitung, 34.


Fußnoten

http://www.pepp-a-spot.de/chartuploads/5994/bonusnet_tvspot.mpg (zurück)

http://www.axa.de/servlet/PB/show/1096039/Das_AXA_Gefuehl_30sec_1.mpeg (zurück)

http://www.peugeot.de/entdecken/extras/tvspots/videos/207.mpg (zurück)

Vgl. Westphal 2005: 34 (zurück)

Vgl. Fiske (2) (zurück)

Vgl. Schierl 1997: 24 (zurück)

Vgl. Schierl 1997: 24/25 (zurück)

Produziert und ausgestrahlt von Sat 1 (zurück)

Adorno u. Horkheimer 1969 (zurück)

Ebd.: 144 (zurück)

Vorwort zu Fiske (1): 8 (zurück)

Hier im allgemeinen Sinne verwendet, umfasst der Begriff power bloc all jene Bereiche, die der „Herrschaft“ zugeschrieben werden können: Konzerne, Regierungen, Kirche usw. (zurück)

Anmerkung der Herausgeber zu Fiske (1): 24 -„Pleasure [...] umfasst die Begriffsfelder von >desir<, >plaisir< und >jouissance<, wie sie v.a. von der französischen Semiotik und Psychoanalyse entwickelten wurden“. (zurück)

Fiske (1): 22 (zurück)

Westbrock 1983: 16 (zurück)

Ebd.: 23 (zurück)

Fiske (1): 18 (zurück)

Vgl. Westbrock 1983: 17 (zurück)

„Direct Response Television“ (zurück)

Der Abschnitt „Hinweise und Tipps“ unter http://www.peugeot.de/dialog/faq/ enthält entsprechende Fragen. (zurück)

Vgl. Fiske (1): 122 - 124 (zurück)

DRTV steht als Abkürzung für Direct Response Television und beschreibt eine auf Interaktion zielende Werbestrategie im TV – der Rezipient soll über eingeblendete Rufnummern, Homepages etc. in Kontakt mit dem Anbieter treten. Anders als beim Teleshopping, das auf Bestellung unter Zeitdruck zielt, stehen bei DRTV-Spots Produktinformationen im Vordergrund. (zurück)

Fiske (2): 266 (zurück)

Bonus.net Spot: 9’’ – 11’’ (zurück)

AXA TwinStar Spot: 1’’ – 16’’ (zurück)

Ebd.: 16’’ – 30’’(zurück)

Fiske (2): 238 (zurück)

Der Song „Heartaches“ von The Marcels (zurück)

Im Deutschen besser bekannt als: „Schau mir in die Augen, Kleines“ – Humphrey Bogart als Rick in: Casablanca. Regie: Michael Curtiz. USA 1942 (zurück)

American Pie. Regie: Paul Weitz. USA 1999 (zurück)

Scary Movie. Regie: Keenen Ivory Wayans. USA 2000 (zurück)

z.B. Faster, Pussycat. Kill! Kill! Regie: Russ Meyer. USA 1965 (zurück)

Zur Geschichte des Comics: http://www.comic-art.com/history/chronol2.htm und http://www.comic-art.com/history/chronol3.htm (zurück)

Hiroshima mon amour. Regie: Alain Resnais. Frankreich/Japan 1959 (zurück)

Vgl. Stewart 1971 : 54 - 56 (zurück)

Vgl. Bachtin 1995 (zurück)

Reefer Madness. Regie: Louis J. Gasnier. USA 1936 (zurück)



Verfasser: Jerome Philipp Schäfer; Datum der Veröffentlichung: 11.04.2007
   


 
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